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Feiert am Freitag seinen 85. Geburtstag: Otto Schenk.

FOTO: APA/HERBERT NEUBAUER

Wien – Über die Entstehung des "Publikumslieblings", dieser österreichischen Wiederkehr des Göttlichen als Juxartikel, weiß man nichts Bestimmtes. Erfunden worden ist der Titel mit Sicherheit in Wien. Manche Schauspieler geraten bereits in jungen Jahren in den Geruch, Publikumslieblinge zu sein. Umso schwerer fällt es aus heutiger Sicht zu sagen, womit Otto Schenk vor vielen, vielen Jahren sein Publikum betört hat. Denn heute wird er vor allem dafür geliebt, dass er nichts mehr tun muss, um er selbst zu sein.

Otto Schenk, der am heutigen Tage seinen 85. Geburtstag feiert, ist auch gar niemals jung gewesen. Sieht man alte Schwarzweißbilder von ihm, so sticht als erstes seine Ungeschicklichkeit ins Auge. Die Ungelenkigkeit des Schauspielers Schenk ist legendär. Sie ist nur unglaubwürdig und muss für das kalkulierte Produkt seines enormen Kunstverstandes angesehen werden.

Die wienerische Form der Verweigerung

Er kultiviert die wienerischste Form der Verweigerung. Sie besteht in der Gebärde der Resignation: Seht her, ich kann nicht anders. Der "Otti", wie ihn Gott und die Welt nennen, zeigt, dass es unmöglich ist, gegen die Übermacht der Verhältnisse recht zu behalten. Schenk gab und gibt zu verstehen: Ich bin viel zu patschert, um die Herzen der Menschen mit natürlicher Anmut zu erfreuen.

Er tut es dennoch. Er streift dann, wie vor rund 20 Jahren, Ballettschuhe über. Er verstaut das Bäuchlein sorgfältig im Feinripp-leibchen und gibt ohne jeden Genierer den sterbenden Schwan. Man kann sich nichts Herzzerreißenderes vorstellen als diesen etwas untersetzten Mann, der Spitze tanzt. Zu anderer Gelegenheit stößt er Sätze mit Verzögerung aus, und schon biegt sich das Komödienpublikum vor Lachen.

Österreichischer Menschendarsteller

Es ist somit völlig unzureichend, Schenk in die Schachtel hineinzustecken, in der die Kassenmagneten aufbewahrt werden. Dieser Mann gehört bis ins hohe Alter hinein zur Spezies der österreichischen Menschendarsteller. Im gedanklichen Umkreis dieses Titanen haben sich Kollegen wie Walter Schmidinger bewegt. Sie alle wurden und werden von der Einsicht beherrscht, gegen "die gebrechliche Einrichtung der Welt" (Kleist) nichts ausrichten zu können. Zumal dann, wenn diese österreichische Umrisslinien hat.

Die edelste Nation unter allen Nationen ist die Resignation. Im liebenden Vollbewusstsein dieser von Nestroy kolportierten Tatsache gibt Schenk bis zum heutigen Tag den Dirigenten (der er natürlich nicht ist). Er gibt sich selbst mit Vorliebe dem Gelächter preis. Und man braucht schon einigen Verstand, um herauszubekommen, dass er sich nicht selbst lächerlich gemacht hat, sondern bloß die Probe aufs Exempel. Schöner und sinnreicher ist die Welt nicht eingerichtet. Sie lässt sich mit Otto-Schenk-Anekdoten nur sehr viel leichter ertragen.

Schenk war Josefstadt-Direktor und Mitglied der Salzburger Festspiel-Leitung. Als Opernregisseur ließ er andere an seinem kindlichen Erstaunen teilhaben. Seinen Ehrentag verbringt dieser Riese natürlich auf der Bühne: derjenigen der Wiener Stadthalle. (Ronald Pohl, 12.6.2015)