Emotionen und hohe Töne an der Mailänder Scala, die in der Wiener Staatsoper auf der Bühne steht: Audrey Luna (als Ariel) und Adrian Eröd (als Prospero) bei "The Tempest" von Komponist Thomas Adès.

Foto: WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖHN

"The Tempest" mit Dan Paul Dumitrescu als Stefano und David Daniels als Trinculo.

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Wien - Alexander Pereira wird sich über die Wiener Werbung freuen: Auf der Bühne der hiesigen Staatsoper steht der Innenraum jenes Hauses, dem er vorsteht. Es ist die Mailänder Scala. Einen solchen Tempel der großen Gefühle hat sich der zaubernde Prospero auf seiner Fluchtinsel errichtet. Hier ist er, der aus Mailand Vertriebene, Impresario und Regieherrscher. Hier ist er aber auch eine gespaltene Persönlichkeit, deren frühere Identität (halbseitig) durch zerzauste Uniformreste andeutet wird. Die andere Hälfte zeigt den kleiderlosen Inselbewohner, der die lokalen Körperbemalungskünste schätzt.

Regisseur Robert Lepage (die Produktion stammt aus der New Yorker Met) hat zu diesem Prospero indes nur Farbideen. Er lässt ihn als eine Art behäbigen Wotan-Vetter herumstehen, als Phantom seiner eigenen Oper, das mitansehen muss, wie Tochter Miranda (glänzend Stephanie Houtzeel) mit dem Sohn des Feindes, also Ferdinand (klangschön Pavel Kolgatin), turtelt, um dann zu nachhaltigen Absichten überzugehen. Adrian Eröd meistert die Partie souverän bis solide. Mehr als vergrübelte Melancholie samt einer Prise Rachewut, die in das verzeihenden Abstreifen der Zauberkräfte mündet, vermag jedoch auch er - in Verbindung mit wohlklingenden Linien - nicht zu vermitteln.

Komponist Thomas Adès, der die Premiere auch dirigiert, hat nicht nur Prospero, vielmehr auch dem jungen Pärchen kantable Partien geschenkt, die selbst in der Spätromantik nicht als sonderlich modernistisch aufgefallen wären. Überhaupt bringt der Brite gerne tonale Wärme ein, um seine Version von Shakespeares Sturm zugänglich zu halten. Da ist allerdings durchaus so etwas wie postmoderner Gestaltungswille: Zu Beginn betören raffinierte Orchestergewitter (hier wirkt Lepage bilderstark); und es mutiert die kulinarische Harmoniewelt in dissonante Düsternis. Da ist großes Handwerk zugegen; wobei die lyrischen Passagen, oft von "eisflächiger" Orchesterpoesie umhüllt, intime Kraft entfalten.

Seziertes Haus

Das Problem: Zwischendurch wird es schwerfällig, und Lepage ist mit von der beschwerenden Partie. Er begnügt sich vielfach damit, Prosperos Mailänder Opernhaus zu sezieren und stolz in diversen Perspektiven zu zeigen. Dass der Souffleurkasten zum Fluchtweg wird, Projektionen bunte Naturbilder evozieren, dass im Zauberreich getanzt wird und sich Ariel in einen metallenen Vogel verwandelt - es ist nettes szenisches Schmuckwerk.

Der solide Chor jedoch, der eine gestrandete Gesellschaft aus dem frühen 19. Jahrhundert mimt, vollführt in einem eher plakativen Ambiente (Bühne: Jasmine Catudal) eine uninspirierte Stehpartie. Genauer, lebendiger die Geschöpfe der anderen Sphären: Audrey Luna ist als Ariel der Clou der Produktion; sie verleiht der Figur mit stilisierter Gestik exzentrische Kontur und meistert die in höchsten Regionen angesiedelte Partie delikat. Zu ungewöhnlicher Bühnenpräsenz animiert Lepage auch Thomas Ebenstein als Hexensohn Caliban.

Ansonsten wird mehrheitlich gut gesungen. Man hört David Daniels als Trinculo, Herbert Lippert als König (bisweilen etwas angestrengt), Jason Bridges als Antonio, Dan Paul Dumitrescu als Stefano, David Pershall als Sebastian und Sorin Coliban als Gonzalo gut. Es wurde ja alles zumeist sängerfreundlich begleitet. Großer Applaus für alle, auch für Adès, der das Staatsopernorchester zu atmosphärisch dichten Farbspielen animiert. (Ljubiša Tošić, 15.6.2015)