Kriecht ins Böse hinein, um es zu zerstören: Serdar Somuncu.


Foto: michael palm

Wien - "Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung!" So lautet der Grundsatz einer Religion namens "Hassismus". Ihr Gott, Prophet und Heiliger Geist ist der deutschtürkische Kabarettist Serdar Somuncu. Zwei ausverkaufte Gottesdienste fanden am Wochenende im Stadtsaal statt. H2 Universe - die Machtergreifung heißt Somuncus aktueller Gegenentwurf zum "Gefälligkeitskabarett".

Das "Komplott" zwischen Publikum und Comedian, in dem von vornherein ausgemacht ist, wer die Guten und wer die Bösen sind, will er unterwandern. Dem Grundsatz seiner Sekte folgend, beleidigt Somuncu nicht in eine bestimmte Richtung, sondern kreuz und quer: Wenn alle verletzt sind, ist wieder keiner verletzt. Im Laufe des Abends soll das Publikum an die Toleranzgrenzen gebracht werden, wie der Guru erklärt. Bei diversen Hasstiraden soll quasi immer anderen Teilmengen des Publikums das Lachen im Halse stecken bleiben. Wenige Tabus bleiben dann ungebrochen, während es gegen Frauen, Hipster, Kinder, "Schwulis", Veganer oder Ausländer geht.

Geisteswacher Wüterich

Zum Beispiel die Rumänen: Es gebe da einen Akkordeonspieler vor seinem Fenster, sagt "Gott" Somuncu. Immer wenn er diesen "durch sein Zielfernrohr" sehe, frage er sich, ob die Bettler denn bei "Bukarests Next Top Mongo" gecastet werden und ob sie dort mit ihren Stummeln über einen Catwalk humpeln müssten. Flugs zeigt Somuncu auch vor, wie er sich das vorstellt. Als das Publikum lacht, sagt er: "Nazipack!" Wie der Untertitel nahelegt, zieht er beim Sichtbarmachen von Intoleranzmechanismen nämlich immer wieder Parallelen zur Genese des NS-Regimes.

Hinter dem Wüterich tritt dann aber oft auch der besonnene, geisteswache Zeitkritiker Somuncu hervor. Und es geht von den Haarstoppeln auf Angela Merkels Brustwarze zu Verstrickungen deutscher Waffenindustrie ins Weltgeschehen. Hier räsoniert Somuncu luzid über die Körperlosigkeit in Zeiten von Netzpornos, dort geht es, vorbei an einem verachteten, frauenfeindlichen Islamisten, in machistisch-homophobe Tiefen: Das einzig Gute am Schwulsein sei, dass man sich nicht mit "Fotzen" abgeben muss, die nicht nur wesentlich komplizierter als Penisse, sondern auch hässlich seien.

Fäkalwitze und die FPÖ

Somuncu lädt bei seinem spannenden Theaterexperiment zu einer Achterbahnfahrt aus Identifikation und Abgestoßensein ein, in der man günstigstenfalls eigene innere Widersprüche entdeckt. Billige Fäkalpointen über die FPÖ bekommen indes in dieser "Machtergreifung" einen doppelten Boden: Das Gejubel, das sie auslösen, weiß nämlich auch davon zu erzählen, dass die Linken oft genug die Ausgrenzungsstrategien der Rechten übernehmen. Somuncu setzt sich allerdings vor allem für eines ein: Ambivalenz.

H2 Universe fügt sich in den Diskurs der Kritik am sogenannten Tugendterror ein. Der Teufel des "Hassismus" ist all das, was die Welt vom Ambivalenten reinigen möchte und den Pluralismus gefährdet: Neben politischen Parteien oder Religionen sind das auch die Lustfeindlichkeit, das moderne Gesundheitssystem und die Political Correctness. Der Hassist gesteht sich nicht nur seine gelegentliche Mordlust ein. Er weiß außerdem, dass man mit "bösen" Worten ebenso Gutes vollbringen kann, wie man hinter schönen Worten Intoleranz verstecken kann.

Ob das buntgemischte Publikum sich beleidigt gefühlt hat, muss dahingestellt bleiben. Und ebenso, ob man nun mehr über die Witze gelacht hat oder mehr über die Tatsache, dass man über die Witze hätte lachen wollen. Wenig zweideutig waren am Samstag jedenfalls die Standing Ovations. (Roman Gerold, 15.6.2015)