Hat Arabella nun endlich den "Richtigen" gefunden, den sie immer gesucht hat? Wird ihre Ehe glücklich sein? Das Glas Wasser, das sich ihr Verlobter nach altem Brauch von ihr erbittet, bringt sie ihm demütig, schüttet es ihm jedoch sogleich auch ins Gesicht. "Ich kann nicht anders werden", verspricht sie ihm.

Die freche Wasserdusche ist zwar im Libretto von Hugo von Hofmannsthal nicht vorgesehen, aber die an Effekten sonst sparsame, zurückhaltende Inszenierung Andreas Dresens lebt davon, dass sie die Figuren in ihren Träumen, ihrer Verzweiflung und vor allem ihren Widersprüchen ernst nimmt. Mögen Richard Strauß und Hugo von Hofmannstahl Arabella nostalgisch auch in ein verklärtes 19. Jahrhundert gelegt haben, die existentielle Verunsicherung aus der Entstehungszeit des Stückes Ende der 1920er-Jahre bricht immer wieder durch. Der Aschermittwoch, an dem der letzte Akt spielt, ist wohl auch der Schwarze Freitag an der New Yorker Börse. Arabella ist die Geschichte einer völlig bankrotten Familie, die mit abstrusen Mitteln verzweifelt doch noch immer das Gesicht nach außen wahren will.

Schatten der Gesellschaft

Auf der Bühne von Matthias Fischer-Dieskau meint man in der Welt expressionistischer Stummfilme zu sein. Das blaue Kleid Arabellas und später rote Umhänge einiger Personen sind die einzigen Farbtöne. Sich kreuzende große Treppen, die ins Nichts zu führen scheinen, bestimmen sie, und ganz am Rande oft wie Schatten nur die Gesellschaft außerhalb der Familie.

Wie in seinen Filmen (Halbe Treppe, Sommer vorm Balkon) ist Dresens Inszenierung voll Empathie mit den Personen. Soziale Karikaturen interessieren ihn wenig, es sind Alltagsmenschen: selbst die Hosenrolle Zdenka, Arabellas Schwester (in schöner Klarheit: Hanna Elisabeth Müller) die sich ganz für die Familie aufopfert und ihr Geschlecht verleugnen muss.

Auch sie wird mit dem sich selbst bemitleidenden Matteo (strahlend verzweifelt Joseph Kaiser) nie glücklich werden, ist sie für ihn doch nur Ersatz für Arabella. Deren Traummann Mandryka ist ein imponierender Freak, der doch seine pedantischen Ansichten nie ganz unterdrücken kann (mit kräftigem Bariton Thoma J. Mayer). Selbst die Eltern haben trotz ihrer Schwächen einen Rest von Liebenswürdigkeit bewahrt. Die Mutter (Doris Soffel), eine Alkoholikerin wohl, oder der spielsüchtige Vater (Kurt Rydl). Und natürlich Anja Harteros als Arabella, jung, lebenslustig, leuchtend hell, dann an der Rampe ihren Träumen nachhängend: bravourös im Mittelpunkt!

Dass Richard Strauß große Oper als psychologisches Kammerspiel funktionieren konnte, verdankte sich vor allem dem einfühlsamen Dirigat von Philippe Jordan. Nirgendwo deckt er die Sänger zu. Er schwelgt nicht in üppigen Farben und macht viel mehr die raffinierte Dekonstruktion und Auflösung von Walzerklängen sichtbar. Arabella also keine nostalgische Operettenseligkeit, sondern eine melancholische Komödie. Das Münchner Publikum feierte ungewohnt einmütig die Premiere, vielleicht auch deshalb, weil sich diesmal niemand durch ein Regiekonzept überrumpelt fühlte. (Bernhard Doppler, 8.7.2015)