Liebe oder doch nur Triebe? – Reihum stellt man sich die Frage.


Foto: Julia Wiggers

Wien/Semmering – Schnitzler im Kurhaus am Semmering zu inszenieren passt einfach. Fast sieht man den Dichter selbst noch durch die Straßen des Ortes schreiten. Die Spielstätte, das historische Kurhaus, verstärkt diese Stimmung nur. Der Reigen hätte freilich schon zu Schnitzlers Zeiten dem Sommerfrischleridyll nicht ganz entsprochen. Die Dirnen vom Prater passen schlecht zum Jugendstilinterieur. Aber insgesamt ist das Bild stimmig; das Haus ergänzt das Stück auf eine für solch sommerliche Anlässe unübliche Art. Schon bevor die Schauspieler die Szenerie betreten, fühlt man sich mit ein wenig gutem Willen in die Vergangenheit versetzt.

Das ist bei allem nostalgischen Charme ein wenig trügerisch: Zum einen ist der Reigen auch deswegen noch heute interessant, weil sein Thema zeitlos ist. Sex und die in ihm dargestellte Macht sind keine Spezifika der Zeit um 1900.

Zum anderen ist die Inszenierung von Regisseurin Alex Riener alles andere als herkömmlich und originalgetreu: Ehe man sich's versieht, ist man mitten ins Stück gestolpert. Plötzlich stehen die Schauspieler unter den Premierengästen, die noch am Spritzer nippen. Riener weitet im Laufe des Abends das Stationendrama aus – die Zuseher haben nicht eine Bühne vor Augen, die sich im Laufe des Stücks verändert, sondern folgen den Figuren durchs Haus. Auch ein Weg, sicherzustellen, dass niemand einschläft.

Keine festen Rollen

Gleichzeitig zerreißt diese Konzeption die Szenen. Das Ensemble hat keine festen Rollen, und die Zuseher werden immer wieder voneinander getrennt. An verschiedenen Orten wird dann Verschiedenes dargeboten: Im zweiten Stock performt Florian Haslinger vor zehn auserlesenen Zuschauern ein Medley und nimmt dabei eine Glückliche mit in seinen Schrank – "Jeanny, life is not what it seems". Nach vollendetem Akt erhalten die Draußengebliebenen ein Trostpflaster: einen Klaps auf den Po beim Verlassen des Raumes. Das ist versauter als Magic Mike – Kino zum Anfassen.

Einen Stock tiefer teilt sich Haslinger dann einen Apfel mit Jakob Egger. Inniglich --. Das Ensemble will die berühmten Gedankenstriche Schnitzlers nicht nur ausfüllen, der Originaltext wird ergänzt, Metaphern werden aus- und Körper zusammengebaut.

Das gelingt nicht immer. Man kann in diesem tollgewordenen Kurhaus trotz gut gespielter Führung von Michèle Rohrbach, Matthias Rankov und Alexandra Pernkopf gedanklich verlorengehen. Aber es ist – auch wegen des Publikums und Ambientes – ein mutiger Versuch. (kf, 10.8.2015)