Wo Julian Crouch Regie führt, da sind die Puppen nicht weit: Aus Anlass des von Sona MacDonald (re.) famos gesungenen "Salomo-Songs" treten neben Salomo, Cäsar und Kleopatra auch Shakespeare und ein Mann namens Brecht auf.

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Sona MacDonald als Spelunken-Jenny und Michael Rotschopf als Macheath in "Mackie Messer".

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Salzburg – Vor gut sechseinhalb Jahrzehnten wäre Bertolt Brecht (1898–1956) um ein Haar Hausautor der Salzburger Festspiele geworden. Sein "Salzburger Totentanz" hat dann doch nicht das Licht der Welt erblickt. Er liegt heute als fragmentarischer Versuch unter den Textmassen der "Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe" ruhmlos begraben.

Eine Eingemeindung des großen BB in den Salzburger Festspielbetrieb lässt sich auch heute nicht ohne Bauchweh bewerkstelligen. Die "Dreigroschenoper" ist eine Bettleroper aus zweiter Hand. Ihre Schlager zur unsterblichen Musik Kurt Weills waren bereits 1928 der Versuch, die Unterhaltungsindustrie zu kapern, ohne sich darum in künstlerischer Hinsicht etwas zu vergeben.

Dem Raubfisch die Zähne gezogen

Womit wir bereits in der Hitzekammer der Salzburger Felsenreitschule angekommen wären. Dort zieht man, um das Publikum des Jahres 2015 nur ja nicht zu verschrecken, dem berühmten Haifisch gleich vorsorglich die Zähne. Die "Dreigroschenoper" heißt hier nach ihrem (angeblichen) Haupthelden auch "Mackie Messer". Den im Umgang mit Werkrechten gewöhnlich humorlosen Erben Kurt Weills hat man eine Neuinstrumentierung der Partitur erfolgreich schmackhaft gemacht.

Mister Martin Lowe, der Spitzenerzeugnisse der abendländischen Tonkunst wie das ABBA-Musical "Mamma Mia!" geformt und geknetet hat, ersäuft Weills famos klappernde, keinerlei Ergänzung bedürftige Moritatenmusik in einer schauerlichen Klangsauce. Es musiziert das Ensemble 013 unter der Leitung von Holger Kolodziej.

Manchmal tönt es sogar nach Michael Nyman. Was immerhin die Schauspieler und Schauspielerinnen nicht davon abhält, zum Teil berückend zu singen, so etwa Sona MacDonald als von tiefem Seelenleid erfüllte Seeräuber-Jenny. Man kann nicht sagen, die Regie-Dioskuren Julian Crouch und Sven-Eric Bechtolf hätten sich nicht um Überdeutlichkeit bemüht. Der Mond hängt wie ein mürber Laib Käse hoch über Soho. Mit großer Treuherzigkeit wird noch einmal das Gespenst der Massenarmut heraufbeschworen, derjenigen des 19. Jahrhunderts, wohlgemerkt. Dabei war Brecht bloß ein guter Futterverwerter. Für seine Bettlerrevue trug er Lesefrüchte aus erster und zweiter Hand zusammen: Charles Dickens, François Villon, die morbide Stimmung aus Schundromanen.

Zusammengepuzzeltes London der Armut

Man bekommt ordentlich etwas zu sehen in Salzburg. Die Lumpen der Bettler hängen wie die Flicken eines Segels am Wäschegalgen. Die riesige Felsenreitschule öffnet ihre steinernen Galerien, und sichtbar wird ein London der Armut, zusammengepuzzelt aus Schatten und Fotokulissen (Bühne: Crouch).

Wenn sich zu Mackies Hochzeit mit Polly der Polizeigeneral Tiger-Brown (Sierk Radzei) als Ehrengast einstellt, dann sinkt sogar der Lärmpegel der Musik. Man hat den "Kanonen-Song" selten so besinnlich gehört. Dafür wird das Wandbild eines großen Elefanten entrollt, schließlich haben Macheath und Brown gemeinsam vor Couch Behar gedient. Für diesen sachdienlichen Hinweis auf die Kolonialgeschichte findet sich großzügig Platz.

Mackie ist in Gestalt Michael Rotschopfs ein leidlich eleganter Filou. Seine Braut Polly Peachum (Sonja Beißwenger) gibt trotz Korkenzieherlocken eine tadellose Kratzbürste, die hier die Hosen anhat. Es handelt sich dabei modetechnisch um Intimwäsche aus dem Kleiderschrank von Königin Victoria.

Auf allzu bequemer Witzejagd

Man muss diesem Brecht/Weill-Versuch der Firma Crouch/Bechtolf überhaupt nicht böse sein. Mitunter gerät das ohnedies arg gestückelte Stück in ein dröges Nummern-Exekutieren. Ein Witzchen jagt das andere, und man gewahrt mit Schrecken: die durchschlagende Wirkungslosigkeit des Klassikers. Brecht, der Hai, wird erbarmungslos zum Karpfen gemacht. Die Montur der Huren in Turnbridge sitzt perfekt. Kein Wunder: Sie bügeln, was die Reizwäsche hergibt. Mit ein paar praktikablen Handgriffen wird auch aus einem Bügelbrett ein veritabler Tanzpartner. Die Regie wird störenderweise vom Horror Vacui geplagt.

Die Konstabler sind Trottel, Mister Peachum (Graham F. Valentine) gibt als Bettlerkönig einen merkwürdig artikulierenden jüdischen Händler, als stamme er geborgterweise aus einem Gustav-Meyrink-Roman. Zur Seite steht ihm in Gestalt von Frau Peachum (Pascal von Wroblewsky) eine ehrfurchtgebietende Fregatte im Herbst ihrer Segeltüchtigkeit. Die "Ballade von der sexuellen Hörigkeit" schimmert bei ihr dafür in allen Farben der Verruchtheit.

Was fehlt, ist irgendeine Haltung – ein Hinweis darauf, dass Brecht die Hierarchie der Welt auf den Kopf gestellt haben wollte, um zur Vernichtung der bürgerlichen Ordnung anzustiften. Man kann nicht alles haben. Aber ein bisschen mehr dürfte es in Festspiel-Salzburg schon sein. In den Jubel mischten sich unüberhörbar Buhrufe. (Ronald Pohl, 12.8.2015)