Im Zusammenhang mit dem neuen Video eines eskalierten Polizeieinsatzes taucht in Diskussionen derzeit häufig folgendes Gedankenexperiment auf: Stellen wir uns vor, der gefesselte, zu Boden geworfene Mann sei kein (mutmaßlicher) Kleinkrimineller, sondern ein Kinderschänder oder ein Mörder oder ein IS-Schlächter. Würde dann noch jemand ein Wort über das brutale Vorgehen der Beamten verlieren?

Diese Frage ist freilich eine Nebelgranate. Abgesehen davon, dass Menschenrechte eben unteilbar sind und auch für Beschuldigte gelten (egal, was ihnen vorgeworfen wird), gibt es zwei tatsächlich wichtige Fragen zu klären. Die eine fokussiert auf die beiden Polizisten. Dass ihr Verhalten intern vom Büro für besondere Ermittlungen untersucht wird, heißt nicht, dass die Staatsanwaltschaft untätig bleibt. Die Beamten müssen sich auf jeden Fall verantworten. Selbst wenn das Video eindeutig erscheint, gilt aber auch für sie die Unschuldsvermutung.

Zweite Frage: Gibt es Systemfehler, die zulassen, dass – um es vereinfacht auszudrücken – cholerische Djangos auf Streife gehen? Pro Jahr hat es die Wiener Polizei mit rund 250 Beschwerden zu tun, die erhobenen Vorwürfe reichen von unfreundlichem Verhalten bis eben zu überschießender Staatsgewalt und tätlichen Übergriffen.

Die sogenannte Bereitschaftspolizei in der Bundeshauptstadt gibt es seit drei Jahren. Sie besteht zum Großteil aus jungen Polizisten, die Präsenz auf der Straße zeigen sollen und angefordert werden, wenn es brennt. Im Schnitt wird alle zwei Tage eine oder einer aus der bis zu 120-köpfigen Truppe verletzt. Kein einfacher Job, trotzdem melden sich dafür viele Polizisten, die erst am Anfang ihrer Laufbahn stehen. Eine höhere Zahl an erfahrenen Beamten würde das System der Bereitschaftspolizei zweifellos stärken. Dieses Versäumnis hat die Polizeispitze zu verantworten. (Michael Simoner, 13.8.2015)