Im ehemaligen Restaurant Horvath, am Beginn des Naschmarktes, hat die Chinabar an der Wien eröffnet.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Der Sichuanpfeffer ist in der Chinabar an der Wien frisch, fruchtig und herrlich prickelnd.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Der Sichuanese ist in China ein bisserl, was der Italiener bei uns ist. Die Regionalküche aus dem Westen ist neben der Kantonküche die populärste der "acht großen Küchen" des Landes, in jedem chinesischen Kaff gibt es ein Sichuanrestaurant. "Niemals hebe ich meine Essstäbchen, ohne an mein geliebtes Sichuan zu denken", wird der berühmte chinesische Dichter Lu You gern zitiert.

Sichuan-Küche ist meist weniger subtil als die Küchen Hongkongs oder Guangzhous, dafür hat sie enormen Wohlfühl-, Sucht- und Schlemmerfaktor: Ihre Geschmäcker muss man sich nicht erarbeiten, sie springen dem Esser freudig ins Gesicht; sie ist feurig, aber nicht ungenießbar scharf, und vollgepackt mit Geschmacksbomben wie sauer vergorenem Gemüse, fermentierten Sojabohnen und ihrem Markenzeichen, dem Sichuanpfeffer, der seinem Esser ein unvergleichliches betäubendes Prickeln im Mund beschert und ganz speziell nach Zitrus schmeckt.

Der vierte Laden

Nun hat sich auch Simon Xie Hong der Küche Sichuans angenommen. Xie Hong ist Wiens geschmackssicherster chinesischer Gastronom und einer der wenigen hier, die versuchen, chinesische Kochkultur weiter zu denken. Die "Chinabar an der Wien" ist sein vierter Laden, neben dem On, dem On Market und der ersten Chinabar. Mattschwarz gestrichene Wände, große nackte Glühbirnen, eine 200-jährige Holzbank und ein Schanigarten direkt am Rand des Naschmarkt-Parkplatzes – hier sitzt es sich für Europäer deutlich netter als auf den allermeisten Straßen Chengdus, Sichuans Hauptstadt.

Xie Hong hat auch das Sichuan-Essen ein wenig europäisiert, fast immer hin zum Besseren: Weniger Öl, weniger Chilis, aber genauso vielschichtige Würze – bloß mehr milchsaures Gemüse wär noch schön. Am besten gelingen die Speisen, bei denen die Hauptzutaten vor allem eine Bühne für die agressiv-köstlichen Saucen sind: "Soja-Reis-Nudeln in Chilidressing" klingen simpel, ist aber eines der spannendsten Gerichte – vielfältig scharf und fruchtig dank eines Potpourris an frischen, getrockneten und vergorenen Chilis, tief und umami dank schwarzer Sojabohnen, und mit wunderbarem Konsistenzenspiel zwischen geschmeidigen Nudeln und knackigen Frühlingszwiebeln. "Shui Zhu Heilbuttfilet" funktioniert ähnlich, bloß mit wachsigem Fisch statt Nudeln, und duftet zusätzlich schon von weitem nach einer ordentlichen Portion Sichuanpfeffer.

Zitruspfeffer

Der ist hier von einer Qualität, wie man das in Wien sonst kaum bekommt: frisch, fruchtig und herrlich prickelnd. Wer so richtig darin schwelgen will, bestellt "Verzwickte Ehe": knackige, perfekt geschnittene Kalbskutteln, fett-weiches Beinfleisch und eine ordentliche Portion Sichuan-Würze – das klingt im Mund noch lange nach. "Vegan-Melanzani mit fermentiertem Gemüse" klingen schrecklich, sind aber bloß der Sichuan-Klassiker "Melanzani mit Fischgeschmack" ohne Schweins- oder Hühnerfond. Mit seiner cremigen Konsistenz und seinem wuchtig-tiefen Aroma zeigt das Gericht, wie gut stimmiges veganes Essen ohne Ersatzprodukte sein kann.

Was ein bisserl stört, ist die zu lange Karte – ein Zugeständnis an weniger experimentierfreudige Esser, die Frühlingsrollen oder knusprige Ente brauchen. Schöner wär's, weniger Posten anzubieten oder aber Chengdu-Standards wie Fisch mit Sauerkraut oder frittierte Hasen- und Entenköpfe zu kredenzen. Die köstlichen frittierten Frösche und der tadellose Bluttofu sind schon da – probieren! (Tobias Müller, Rondo, 21.8.2015)