Das Flüchtlingsthema hat den Balkangipfel in Wien überschattet. Das ist auch angesichts der Todesfälle in Österreich verständlich. Schade ist allerdings, dass zentrale Fragen, die die Flucht zehntausender Menschen vor dem Krieg in Syrien und die Region Südosteuropa verbinden, nicht besprochen wurden. Es bräuchte etwa dringend Flüchtlingshelfer auf dem Balkan, die auch von der EU koordiniert werden: in Griechenland, in Mazedonien, in Serbien. Viele Flüchtlinge wissen nämlich nicht, wie und wo sie sich registrieren lassen können. Sie reisen gehetzt und verängstigt durch den Balkan. Angesichts dessen ist es daneben, dass in den Schlussfolgerungen des Westbalkangipfels von "Migration" und nicht von "Flucht" die Rede ist.

Gerade weil die südosteuropäischen Staaten wenig Kapazitäten haben, braucht es eine Koordination unter Einbeziehung des UN-Flüchtlingshilfswerks, der lokalen Behörden und der Polizei. Es geht nicht nur darum, einen Überblick zu schaffen, sondern auch darum, Todesfälle durch unverantwortliche Schlepper oder Gewaltausbrüche wegen völlig überforderter Sicherheitskräfte zu vermeiden. Serbien hat bislang gezeigt, wie man eine menschliche Flüchtlingspolitik macht.

Wenn die Flüchtlinge allerdings – etwa von Ungarn – auf den Balkan zurückgeschickt werden, dann bekommen nicht nur die rechten Kräfte dort Auftrieb, man schafft auch weiteres unnötiges Leid. Gerade die Flüchtlingskrise zeigt, dass wir alle in einer Region leben, dass zwar die EU zwischen Griechenland und Kroatien "unterbrochen" ist, aber dass die Kooperation mit den Ländern dazwischen genauso wichtig ist wie jene mit EU-Staaten.

Seitdem Angela Merkel im Vorjahr den "Berlin-Prozess" – also das Treffen von Regierungspolitikern aus Südosteuropa, die regionale Vernetzung – initiiert hat, ist einiges in Gang gekommen. Ihr Wort ist auf dem Balkan schließlich auch fast gewichtiger als jenes des Papstes, des Patriarchen oder des Großmufti. Deutschland spielt seit Jahren die entscheidende Rolle; Österreich spielt zu, ist ein zweiter wichtiger Akteur. Die Organisation des Westbalkangipfels ist in Österreich allerdings nicht – wie in Deutschland – dem Kanzleramt, sondern dem Außenministerium zu verdanken. Auch der Bundespräsident sprang ein.

Neu bei der Konferenz war heuer die Einbeziehung der Zivilgesellschaft – auf österreichische Initiative. Dies ist angesichts der semiautoritären Züge mancher Regierungen, die auf dem Balkan zu sehen sind, besonders wichtig. Allerdings hätte man die Debatte in Wien in der Ankerbrotfabrik viel stärker moderieren müssen. Der serbische Premier Aleksandar Vučić und sein albanischer Kollege Edi Rama rissen die Diskussion an sich und veranschaulichten damit nur, wie viel noch getan werden muss, damit ein echter Dialog entstehen kann.

Es ist auch zu erwarten, dass jene Politiker, die sich in Wien als Vorbild-Europäer zeigten, zu Hause wieder populistisch-nationalistische Politik machen. Das tun Premiers aus EU-Staaten auch – ein bisschen anders.

Der Berlin-Prozess ist aber eine der wenigen Möglichkeiten, Verantwortung und Resultate von diesen Nicht-EU-Premiers einzufordern und gemeinsame Projekte zu forcieren. Kommendes Jahr wird die Konferenz in Paris stattfinden. Deutschland und Österreich bleiben aber das treibende Duo, das auch fehlendes EU-Engagement in der Region kompensiert. (Adelheid Wölfl, 27.8.2015)