Dem Leben triumphal getrotzt: Elisabeth Orth als Großmutter (mit Alina Fritsch als Enkelkind) in Maja Haderlaps "Engel des Vergessens".

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Gregor Bloeb, Rudolf Melichar, Sven Dolinski, Andre Meyer, Michael Masula, Sabine Haupt und Petra Morze in "Engel des Vergessens".

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Wien – Vater (Gregor Bloéb) plumpst krachend aus dem Schnürboden auf die Bühne des Akademietheaters. Am Ende nach zwei Stunden wird er, alt und krank, auf einem Rollstuhl in Richtung Himmel wieder hinauffahren. Er hängt dann kopfüber da, und weder seine tote Mutter (Elisabeth Orth) noch seine Tochter im Kindesalter (Alina Fritsch), die an dem baumelnden Körper vorbeischreiten, nehmen ihn wahr. Sie können nicht: Kind und Großmutter sind aus einer anderen Zeit und ihrerseits vertieft in die Sorge um die sterbenden Bienenvölker, die die Familie auf ihrem Hof im Kärntner Dorf Lepena hegt.

Nicht alles ist in Georg Schmiedleitners Inszenierung so real, wie es scheint, die Zeitebenen schieben sich ineinander. Sie führen jene Erinnerungen zusammen, von denen die Menschen in Maja Haderlaps Engel des Vergessens geprägt sind: die Überlebensstrategien der Großmutter im Konzentrationslager Ravensbrück; die Folterungen der NS-Schergen in den Kärntner Bergen, aber auch das slapstickhafte Suchen mit der Antenne nach dem slowenischen Fernsehkanal.

Der mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnete Text (eher eine sinnliche autobiografische Erzählung als ein Roman) zeigt, wie sehr sich die Spuren von Verfolgung, Missachtung und Kränkung in eine Familiengeschichte eingravieren können. Angehörige der slowenischen Volksgruppe waren während des NS-Regimes ihres Lebens nicht sicher. In den Wäldern leisteten Partisanen bewaffneten Widerstand.

Im Akademietheater, wo die Uraufführung der Bühnenfassung (Haderlap, Schmiedleitner) am Dienstag stattfand, entfalten diese Wälder als Dickicht wild zusammengenagelter Bretter ihre gespenstische Wirkung (Bühne: Volker Hintermeier), ragen gar über das Bühnenportal hinaus. Diese oft in düsteres Licht getauchten Holzgitter verhelfen der insgesamt allzu im Handwerklichen verbleibenden Inszenierung zu schönen Tableaus. Im Inneren aber lässt der Abend die Sinnlichkeit und die irritierenden Schwebezustände des Lebens missen, die der Haderlap’sche Text sehr wohl heraufbeschwört.

Western-Anklänge

Papas (Bloéb) Erzählungen aus dem Partisanenlager und seine Selbstmorddrohungen will keiner mehr hören, schon gar nicht dessen Frau (kühl-korrekt: Petra Morzé). Die Zumutungen des Vergessenseins, der Missachtung ziehen Grobheiten nach sich, die Bloéb allzu sehr ausstellt, seine Rolle weist über den wankenden Alkoholiker nicht hinaus, der sein "Schicksal" aus guten Gründen ertränken möchte: Als Zwölfjähriger wurde er von SS-Schergen gefoltert, an einen Baum gehängt, bis er bewusstlos wurde. Über der Erde hängend, das ist ja auch schon der halbe Weg hinauf in den Himmel.

Die Live-Musik von Matthias Jakisic und Toni Burger moduliert Partisanenlieder – gesungen von Dorfbewohnern bzw. Familienmitgliedern, die immer wieder zum Chor zusammenwachsen (Sabine Haupt, Sven Dolinski, Michael Masula, Rudolf Melichar, André Meyer). An anderer Stelle lassen die Instrumente ganz sachte verschrobene Westerntöne à la Tarantino anklingen – vielleicht wäre es gewinnbringend gewesen, auch inszenatorisch mehr in diese Richtung zu denken. So bebildert Schmiedleitner die innerfamiliären Begegnungen mit "passenden" Ideen: Ein Giebelhaus senkt sich ab, wenn der Hausbau abgeschlossen ist; ein nacktes und laut dröhnendes Motorengehäuse mimt den Traktor, ein idealer Sitzplatz, um am Bauernhof einmal mit sich oder dem lieben Kind (Alexandra Henkel als erwachsene Tochter) allein zu sein.

Gut ist die Inszenierung dort, wo sie in puncto Mechanik lockerlässt: in konzentrierten Momenten, die freie Räume entwickeln. Solche zu erzeugen vermag vor allem Elisabeth Orth. Sie trägt als Großmutter den Triumph des Überlebens in sich, die Kraft und den schelmischen Furor einer ertrotzten Existenz. Und weiß auch das erwachsene Enkelkind noch zu erziehen: "Den Arsch und das Geld zeigt man nicht her!"

Der herzliche Premieren Applaus galt wohl der Autorin. (Margarete Affenzeller, 9.9.2015)