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Weibliche Revolte: Stefanie Reinsperger als Nora.

Foto: APA/SEBASTIAN HOPPE

Wien – Im Wiener Volkstheater geht der Flügel eines hohen Holzportals gerade einen Spalt weit auf. Heraus schlüpft eine Widerstandskämpferin, Henrik Ibsens Nora (Stefanie Reinsperger), die Urgestalt aller Emanzipierten, solcher also, die aus Schaden klug geworden sind.

Die kräftige junge Dame bleckt selbstbewusst ihr Gebiss. Sie strahlt über das ganze Gesicht und intoniert ein ausgesprochen raues Österreichisch. Sie hat soeben Mann und Kinder hinter sich gelassen, weil sie die Heuchelei ihres Gemahls, eines Bankdirektors in spe, nicht mehr hinnehmen wollte.

Doch der Schritt ins Freie ist noch lange keiner in die Freiheit. Nora Helmer kommt vom Regen in die Traufe, also vom Ibsen in die Jelinek.

Szenisches Sandwich

Regisseur Dusan David Parizek hat aus dem Nora-Stoff ein szenisches Sandwich gebastelt. Nora3, korrekt nur mit hochgestelltem Dreier, erzählt in den Worten Elfriede Jelineks, was passierte, "nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte".

Der Wechsel einer jungen, ungelernten Frau hinüber in die Arbeitswelt ist kein Honiglecken. Die alten, schauerlichen Gestalten rücken der Armen in neuer Funktion umso teuflischer auf den Pelz. Torvald (Rainer Galke) zum Beispiel heißt jetzt Fellner. Er prüft die Eignung Arbeitssuchender für die Textilindustrie.

Jelineks höhnisches Satyrspiel, ein Ibsen-Kommentar aus dem unendlich fernen Jahr 1979, bildet den heiter-galligen Auftakt einer famos leichthändigen Produktion. Drei Teile bilden ein kompliziertes Ganzes. Noras künftige BetriebskollegInnen sprechen in diversen Mundarten. Rasch wird klar: Nora wird dem Konsul Weygang (Michael Abendroth) bei der Erstellung eines Kulturprogramms im Betrieb zur Hand gehen. Das bürgerliche Geschöpf hat Tarantella-Tanzen gelernt. Noch besser macht sie sich aber als Wiedergängerin ihrer selbst. Jelineks Nora spielt dem Publikum Ibsens Nora nach, in einer schön zusammengerafften, ganz aufs Wesentliche konzentrierten Fassung.

Alle treten sie auf: der bullig schnaubende Torvald, der Erpresser Krogstad (Jan Thümer), der sterbende Doktor Rank (Abendroth).

Schicksal im Zeitraffer

Nora aber erlebt die Fallhöhe ihres bürgerlichen Schicksals im Zeitraffer. Das Makronen naschende Luxusgeschöpf wird von ihrem Gemahl buchstäblich an die Wand geknallt. Die zur Schachtel geweitete Bühne erzittert unter den Anschlägen auf Noras Integrität (Ausstattung: Parizek). Lebensträume verlöschen, ein grüner Apfel explodiert.

Parizek hält mit dieser aus Düsseldorf übernommenen Produktion tadellos die Mitte zwischen satirischer Zuspitzung und moralischem Ernst. Reinsperger spielt das weibliche Aufbegehren auf des Messers Schneide. Das Volkstheater unter Badora sprüht Funken. Und hat mit Reinsperger von der Burg eine Schauspielerin übernommen, die ohne sichtbare Anstrengung geistige Konzepte in körperliche Haltungen übersetzt. Jelineks Schlusschor "Nach Nora" hätte es nicht mehr gebraucht. Trotzdem: Chapeau! (Ronald Pohl, 14.9.2015)