Rüben in allen Farben und Formen sind im Moment ähnlich hip wie Craft-Beer oder kalter Kaffee.

Foto: Lukas Friesenbichler & Magdalena Rawicka

Nun liegt es ja in der Natur eines Trends, dass man ihm lieber nachläuft, anstatt ihn zu hinterfragen, weswegen er in der Regel am Wesentlichen vorbeigeht – und in der Folge zu nerven beginnt. Man denke nur an das extrem trendige Street-Food. In Wahrheit erlebt man echte Straßenküche völlig unvorbereitet. Man biegt irgendwo um die Ecke, womöglich in einer fremden Stadt, und plötzlich steht da jemand und bietet einem etwas zu essen an.

Im Unterschied dazu wird trendiges Street-Food bei groß angekündigten Street-Food-Festivals verkauft. Da gibt es mobile Toiletten, Gratis-Wi-Fi, manchmal auch einen DJ und eine Ecke zum Spielen für die Kinder – sowie natürlich eine regelrechte Wagenburg an Food-Trucks, vor denen man ewig lang anstehen muss, um schließlich im besten Fall einen passablen, dafür überbezahlten Burger oder Hotdog zu ergattern. Dass die aus Fleisch von artgerecht gehaltenen Tieren gemacht sind, beruhigt vielleicht das Gewissen, schmecken wird man es nur in den wenigsten Fällen. So nett die Stimmung auch sein mag, mit dem Zauber von wahrem Streetfood hat es jedenfalls wenig zu tun.

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Ein Food-Truck beim US-Pavillon anlässlich der Expo in Mailand.
Foto: ap/bruno

Zelebrieren statt statt schnellem Koffein-Kick

Ähnlich verhält es sich mit Kaffee. Noch vor wenigen Jahren war man sich einig, dass der beste Kaffee ein Espresso in Italien ist, ein konzentrierter Schuss Koffein in der vorgewärmten Mokkatasse am Tresen einer römischen oder neapolitanischen Bar um selten mehr als einen Euro – italienisches Lebensgefühl inklusive. Heute gilt der Espresso als out. Und Neapel und Rom gelten keineswegs mehr als Hochburgen des Kaffees.

Sogenannte Coffee-Snobs, eine Untergruppe der Hipster, pilgern lieber nach Kopenhagen, nach Portland und Wellington und schwärmen von der dortigen "Coffee-Scene", von kompetenten Baristas mit langen Bärten und haufenweise Piercings, von blumigen Noten und leguminösen Aromen aus dem Cold Dripper, der Chemex oder Aeropress.

Den x-beliebigen Mokka im Café an der Ecke verweigern sie – und vergessen dabei, dass es eigentlich in erster Linie um den Koffeinkick geht und in zweiter um das Zelebrieren der Kaffeepause, um eine Unterbrechung des Tagewerks bei einem Plausch in angenehmer Gesellschaft – und viel weniger um blumigen Geschmack.

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Espresso gilt als out, langsam von Hand gebrühter Filterkaffee ist angesagt.
Foto: ap/Kayijama

Bier-Hipster

Das Pendant zum Coffee-Snob ist der Bier-Hipster. Er liebt sogenannte Craft-Biere aus winzigen Brauereien und schwärmt gerne von exotischen und aromatischen Hopfensorten mit exotischen Namen wie Cascade, Saphir und Tomahawk. Auf ein geschmacklich unaufgeregtes Bier verzichtet er lieber, sei es auch noch so gut gezapft und wohltemperiert und die Schaumkrone noch so prächtig.

Das Lieblingsbier des Hipsters ist das sogenannte India Pale Ale, auch als IPA bekannt, also ein obergäriges Bier, das nach amerikanischer Machart extrem bitter schmeckt, dabei aber nach frischen Zitrusfrüchten duftet. Nun behauptet freilich niemand, dass solche Biere nicht wunderbar gelingen können, nur tun das bei weitem nicht alle. Und so bleibt in vielen Fällen der Griff zum anspruchslosen Industriepils die deutlich bessere Wahl, zum Beispiel dann, wenn es richtig gepflegt wird und als Begleitung zum Gulasch dienen soll.

Auf den Geschmack vergessen

Und da wir gerade bei Getränken sind: Natürlich ist die Entwicklung hin zu möglichst naturbelassenen Weinen zuerst einmal zu begrüßen. Wir alle haben es satt, Weine zu trinken, die im Labor entstehen und von Trauben stammen, welche in chemisch niedergespritzten Weingärten wachsen, was allerdings noch lange nicht bedeutet, dass alles, was unter trendigen Bezeichnungen wie "natural wine" oder "vin naturel" daherkommt, was ohne Schwefelzusatz gekeltert oder als "orange wine" auf der Maische vergoren wird, tatsächlich auch trinkbar ist – selbst wenn der kürzlich aus einem angesagten Restaurant in Skandinavien zurückgekehrte Jungsommelier mit Lederschürze das euphorisch behauptet.

Wenn ein Wein nämlich nach Apfelmost, Hefeweizen oder gar Essig riecht und schmeckt, dann hat er schlicht und ergreifend einen Defekt. Heute ist das, was einst als legitime Auflehnung gegen überbezahlte und als elitär verschriene Weine begann, längst zu einem Verkaufsargument verkommen, das naturnahe Weine generell als "gut" darstellt und so manchen Hipster davon ablenkt, sich beim Trinken auf seine Geschmacksorgane zu verlassen.

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Zweige von Nadelbäumen dürfen nicht fehlen: Hier ein Koch im Noma in Kopenhagen.
Foto: reuters/bimmer

Scandinavia is everywhere

Apropos Skandinavien: es ist nun schon einige Jahre her, dass eine Gruppe junger nordländischer Köche mit naturnaher Küche und der Verarbeitung lokaler Lebensmittel aus ihrer kargen Heimat aufhorchen ließ. Das Modell wurde zahlreich kopiert, zuerst in ihren eigenen Ländern, später auch bei uns.

Zur Folge hatte es, dass ein angesagter Koch heutzutage möglichst lückenlos tätowiert am Tisch zu erscheinen hat, um zu erklären, was er sich bei der Kreation seiner Gerichte dachte, ganz egal, ob der Gast das überhaupt wünscht oder es ihn interessiert. Zudem serviert er seine Speisen gerne angerichtet auf Ästen, auf Schieferplatten und Baumstammscheiben, was vermutlich Naturnähe vermitteln und eine hippe Alternative zum vermeintlich bürgerlichen Porzellangeschirr darstellen soll.

Wiederholungen

Dabei scheint vielen der Kitschfaktor eines solchen Anrichtens gar nicht aufzufallen, obgleich dieser allein durch die häufige Wiederholung längst offensichtlich ist. Was dem Bier-Hipster sein IPA, ist dem nordischen Hipster-Koch übrigens der Kaisergranat mit geräucherten Tannen- oder Fichtenzweigen, zumeist auf einem Stein und in einem Topf mit Deckel serviert. Kaum ein angesagtes Lokal dieser Welt, in dem dieses Gericht in mehr oder weniger abgewandelter Form in den letzten Jahren fehlen durfte.

Das Ende eines Trends beginnt meistens bei seiner übertriebenen Wiederholung. Und dazu kommt es heutzutage sehr rasch. Während man nämlich noch in den 90ern erst mehrere Restaurants besuchen musste, um beispielsweise festzustellen, dass das Anrichten in kleinen Einmachgläsern im Trend liegt, so reicht inzwischen ein Besuch auf Instagram, Facebook oder foodreporter, und schon weiß man, dass Zitronen zum Säuern out und frittierte Ameisen, die nach Zitrone schmecken, in sind – mit dem Problem allerdings, dass es Tausende andere auch wissen, womit bald darauf das Wesentliche, nämlich die gewünschte Säure im Essen, in den Hintergrund und der Trend in den Vordergrund tritt. Und das nervt. (Georges Desrues, RONDO, 26.9.2015)

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