Julia Gräfner als Elaine mit ihrem Sohn Galahad, der ohne Papa Lancelot, aber mit viel Nutella und Fernsehen aufwachsen muss.

Foto: Lupi Spuma

Graz – Es ist in der Tat ein wüstes, kaltes Land, in das Merlin da hineingeboren wird: Als hölzerne, ungelenk und hilflos wirkende Puppe wird er bei Regisseur Jan-Christoph Gockel in die Welt geworfen. Ein Kind, dem der Loyalitätskonflikt zwischen Gut und Böse in die Wiege gelegt wird. Michael Pietsch, Puppenbauer, Puppen- und Schauspieler, haucht der Merlin-Puppe nicht nur Leben ein, während schwarz gekleidete Teufel ihm applaudieren, er verkörpert ihn später auch selbst auf der Bühne im Grazer Schauspielhaus.

Merlin bleibt ein meist im Verborgenen werkender Strippenzieher, dem die Schicksale seiner Protagonisten entgleiten, bis die Erde an ihrem Ende angelangt ist.

Gockel entwickelte gemeinsam mit Chefdramaturgin Karla Mäder und mit dem – von der frisch angetretenen Intendantin Iris Laufenberg fast durchwegs erneuerten – Ensemble eine Fassung von Tankred Dorsts Merlin oder Das wüste Land. Das mit seinen fast 100 Szenen eigentlich unspielbare und umso besser lesbare Drama bekommt in Graz fast 35 Jahre nach seinem Erscheinen einige neue Facetten.

Plötzlich König

Ein bisschen geblödelt wird da auch, wenn der unbedarfte Artus plötzlich König wird und eine Truppe rotzlöffeliger Kerle um sich versammelt. Ihre Tafelrunde scheitert schon in der Formgebung: Demokratie als Hort der Gleichberechtigung – von wegen! Die Tafel des Artus wird aus mehreren Tischen zusammengeschoben, in deren Mitte verhindert ein mächtiger Baum, dass man einander in die Augen sehen kann.

Der Baum wird später auch der Wald, in dem Parzival sich vor der Welt versteckt. Seine überbehütende Mutter wird entzückend von Franz Solar gespielt. Parzival selbst ausgerechnet von einer sehr jungen, sehr talentierten Frau: Julia Gräfner gibt den Narrenritter mit der Unbefangenheit und Brutalität eines Kleinkindes, das weiß, was es will. Gräfner spielt auch Elaine, die sich als Ginevra (stark: Evamaria Salcher) ausgibt, um sich vom Soundgarden-Nummern singenden Sir Lancelot (Florian Köhler) ein Kind machen zu lassen. Ihr Sohn Galahad bleibt eine von Pietsch geführte Puppe.

Köhler, der als Lancelot, aber auch als steirischer Schreinermeister unterhält, und Solar sind im Stück die Einzigen aus dem "alten" Ensemble Anna Badoras. Schön, dass sie geblieben sind. Doch das neue Ensemble gibt Anlass zur Freude: Etwa Fredrik Jan Hofmann als Artus und Benedikt Greiner als dessen Sohn Mordred, der die Tafelrunde stellvertretend für die Festung EU beschimpft.

Der vierstündige Abend ist nie langweilig und dreht sich wie eine Schraube durch die Geschichte, Stilrichtungen wie Gewebeschichten passierend. Wenn sich an einer Stelle die Drehbühne in Bewegung setzt und verschiedene Szenen samt schweigenden oder monologisierenden Figuren vorbeifahren, ist das ein Bild, das stellvertretend für das ganze Stück stehen kann: ein düsteres, aber farbenfrohes, tiefgründiges Merlin-Kaleidoskop.

Am Ende gab auch der 89-jährige Autor dem Publikum kurz die Ehre und kam auf die Bühne. Man dankte es ihm mit heftigem Applaus. (Colette M. Schmidt, 26.9.2015)