Daniel Kirch (Fritz) und Johanni van Oostrum (Grete).

Foto: Werner Kmetitsch

Graz – Am Ende ist es wie am Anfang, der Kreis schließt sich. Fritz bettet sein müdes Haupt in Gretes Schoß. Ach: Hätte er nicht ihr gemeinsames Liebesglück für seine Komponistenkarriere geopfert, hätten beide sich ihr zwischenzeitliches Leid ersparen können.

Aber als Zuhörer ist man natürlich froh: Denn wäre Fritz auf die Idee gekommen, dass sich künstlerische Selbstverwirklichung und partnerschaftliches Glück auch zeitgleich stemmen lassen, dann hätte Franz Schreker nicht die Gelegenheit gehabt, ihrer beider Höllenfahrt auf Erden mit seinen überbordenden musikalischen Mitteln auszumalen.

Der in Monaco geborene und lange Zeit in Wien lebende wie auch lehrende Schreker (1878-1934) war etwa ein Jahrzehnt der meistgespielte Komponist auf deutschen Bühnen, die 1912 in Frankfurt uraufgeführte Oper Der ferne Klang läutete die Hochphase seiner Beliebtheit ein. Seine Musik ist verführerisch, berauschend, prunkend, überwältigend – feinnerviges, überreiztes Fin de Siècle in der Verlängerung.

Rhythmische Ruppigkeiten werden vermieden, alles fließt, ist berauschter, berauschender Taumel durch den üppigen Garten der spätromantischen Harmonik. Die unvergessliche Melodie will ihm nicht gelingen, aber wie sein Konkurrent Richard Strauss verstand es Schreker, wirkungsmächtig zu instrumentieren: Alles schillert und glitzert, die Harfen schieben Sonderschichten.

Ja, da gibt es einiges zu tun im Orchestergraben und auf der Bühne, und Dirk Kaftan koordiniert die komplizierten Abläufe in seiner bereits dritten Produktion dieses Werks gekonnt. Das Grazer Philharmonische Orchester gibt sein Bestes, was man in Summe als ziemlich gut bezeichnen kann.

Frische Regiekräfte will die neue Intendantin Nora Schmid in Graz präsentieren – wie zum Beispiel Florentine Klepper. Man hat den Eindruck, dass sie bei der ersten Premiere der Saison gleich alles zeigen wollte, was das Haus und auch sie selbst so draufhaben: Die Bühne dreht sich und hebt sich, Klepper arbeitet mit Videoprojektionen (Heta Multanen), der Chor hat einen Auftritt in den Logen, Figuren werden verdoppelt oder treten – warum? – mit übergroßen Puppenköpfen auf (Kostüme: Anna Sofie Tuma).

Das ist mitunter ein bisschen viel, steht aber zumeist im Dienste der Verdeutlichung der Vorgänge. Wie das dreistöckige Bühnenbild des ersten Aufzugs: Da ist unten die dumpfe Saufgesellschaft, in der Gretes Vater (gewaltig: Konstantin Sfiris) die Tochter an den Wirt verschachert. Darüber das Reich der hartherzigen Mutter Graumann (beängstigend: Stefanie Hierlmeier), und ganz oben ein himmelsoffener Dachgarten (Bühne: Martina Segna).

Von den Verdoppelungen der Figur Gretes macht jene im zweiten Aufzug am meisten Sinn, als Fritz in das Vergnügungsetablissement kommt, in dem Grete als First Lady der käuflichen Liebe körperarbeitet. Fritz singt hier anfänglich seine unschuldige Grete von früher an, sein "Liebchen", und nicht die Frau mit den knallroten Lackstiefeln und dem Glitzerherz im Schoß.

Die mittleren Partien sind mit Wilfried Zelinka (Wirt), Ivan Orescanin (Schmierenschauspieler) und Markus Butter (Graf) mit mittleren Kräften besetzt, gute Laune macht Taylan Reinhard als wirbelnder Chevalier, der Grete mit seinem schön grellen Charaktertenor ein Couplet singt. Daniel Kirch sucht als Fritz zumeist mit gewinnendem Timbre nach dem fernen Klang, wenn er ob seiner limitierten Durchschlagskraft nicht von den Klangmassen des Orchesters übertönt wird. Und Johanni van Ostrum bewältigt die riesige Partie der Grete vor allem in den ersten zwei Aufzügen mit einem glänzenden, hellen Sopran.

Begeisterung nach gut drei Stunden für eine schöne, kluge, reiche Inszenierung eines großen Werks – ein verheißungsvoller Beginn der neuen Intendanz. (Stefan Ender, 27.9.2015)