Staatsopernregisseur Christian Räth glaubt nicht unbedingt mehr an Hexen. Aber deren Auftauchen ermögliche eine "Innenschau in die Köpfe von Macbeth und seiner Frau".

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STANDARD: Herr Räth, werden wir Macbeth in Ihrer Inszenierung im 11. Jahrhundert morden sehen?

Räth: Nein. Das Stück hat eine solche Kraft und auch eine solche Aktualität, dass es für mich und Gary McCann (den Bühnenbildner, Anm.) unvorstellbar war, das in historischen Kostümen ablaufen zu lassen. Wir haben die Handlung in eine Gegenwartsnähe gebracht, ohne zu spezifisch zu sein bezüglich des Landes, des Jahres oder eines Diktators.

STANDARD: Macbeth ist eine exem-plarische Studie der Machtgier; was die Aktualität anbelangt, denken Sie aber wahrscheinlich an die Flüchtlingsthematik im letzten Akt?

Räth: Ja, natürlich. Wenn man an Syrien, an Libyen denkt, an alles, was in letzter Zeit dort leider schiefgegangen ist, dann ist das natürlich sehr aktuell. Was ich aber im Stück so interessant finde: Zuerst haben die Flüchtlinge diesen eindrucksvollen Chor, "Patria oppressa", da sind sie ja noch ganz in der Opferrolle drin. In der nächsten Szene springt das aber um, und plötzlich wird daraus ein Rachechor. Die Opfer werden durch dieses System der Gewalt, in das sie geraten, zu Tätern. Es findet ein Prozess der Fanatisierung statt, der diesen Kreislauf von Gewalt immer weiter in Gang hält. Deswegen zeigen wir es dann so, dass es die Flüchtlinge sind, die, angeführt von Macduff, den Macbeth umbringen.

STANDARD: Die andere ungewöhnliche Gruppe in diesem Stück sind die Hexen. Wie sehen die denn heutzutage so aus?

Räth: An Hexen glauben die meisten von uns heute ja nicht mehr. Aber es ist wichtig, diesen Bezug zwischen Macbeth, seiner Frau und diesen Figuren herzustellen. Die Hexen sind die Stimmen des Unterbewussten, die Ambitionen, die Triebe – eine Innenschau in die Köpfe von Macbeth und seiner Frau. Natürlich muss man das auf eine theatralische Weise darstellen, denn das fantastische Element ist in diesem Stück ja sehr wichtig. Die Oper, und das hört man auch in Giuseppe Verdis Musik sehr deutlich, oszilliert ja immer zwischen Vision und Realität – bis man es zum Schluss dann nicht mehr unterscheiden kann, bei Lady Macbeths Nachtwandelszene.

STANDARD: Verdis Musik ist packend, theatralisch, drastisch und schrill. Muss man als Regisseur vorsichtig sein, dass man da nicht zu viel macht und die Sache dann in Richtung Schocker und Schauermärchen abdriftet?

Räth: Das ist sicherlich ein Balanceakt. Das Ganze darf natürlich nicht zu einer Halloweengeschichte werden, die fantastischen Ereignisse müssen immer in den Gehirnen und Seelen der Protagonisten verortet sein. Aber das Albtraumartige, das Bedrückende muss unbedingt transportiert werden.

STANDARD: Die Ausnahmefigur des Stücks ist natürlich Lady Macbeth: eine Frau, die zielstrebiger mordet als ihr Mann, der ruhmreiche Feldherr. Aber es ist ja auch ihre einzige Chance, mit und durch ihren Mann ganz nach oben zu kommen.

Räth: Heute würde man die zwei als Karrierepaar bezeichnen. Ich glaube, sie sind nicht zu trennen, sind auch fast süchtig nacheinander. Und sie ergänzen sich gegenseitig: Sie hat eine enorme Willenskraft, er hat die körperliche Kraft und eine hohe gesellschaftliche Position.

STANDARD: Ähnlich wie das Ehepaar Underwood in der Serie "House of Cards"?

Räth: (lacht) Ja, ich glaube, deren Macher haben ihren Shakespeare gut gelesen!

STANDARD: Die beiden Macbeths tragen das Stück. Wie war die Zusammenarbeit mit Tatiana Serjan und George Petean?

Räth: Für George Petean ist es ein Rollendebüt, er ist verhältnismäßig kurzfristig für Ludovic Tézier eingesprungen und hatte nicht viel Zeit, die Partie einzustudieren. Tatiana Serjan ist ein Star in dieser mörderischen Partie, und obwohl sie sie schon oft gemacht hat, ist sie sehr offen und hat sich voll auf unser Konzept eingelassen. Alain Altinoglu kenne ich schon seit vielen Jahren, und es ist mir eine ganz besondere Freude, wieder mit ihm zusammenzuarbeiten – auch weil er immer sehr an der Szene interessiert ist. (Stefan Ender, 1.10.2015)