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Mitunter werden Schwabs "Präsidentinnen" auch untereinander handgemein: Im Bild züchtigt Erna (Regina Fritsch, re.) die arme Klosettreinigungskraft Mariedl (Stefanie Dvorak).

Foto: APA/Oczeret

Wien – Ein Vierteljahrhundert ist seit der Uraufführung von Werner Schwabs (1958-1994) Fäkaliendrama Die Präsidentinnen vergangen. In diesen 25 Jahren hat der soziale Wohnbau enorme Fortschritte gemacht. Nicht so im Wiener Akademietheater (Bühne: Patrick Bannwart). Doktor Kurt Waldheim blickt mit der ihm eigenen Freundlichkeit auf die sagenhaft dreckige Wohnhölle der Putzkraft Erna (Regina Fritsch) herunter. "Fuck Mother" steht auf der Hinterwand geschrieben. Die resolute Erna darf als die Anführerin der drei Damen gelten.

Zu Beginn starrt das Trio auf den Bildschirm eines versifften Fernsehers. Die lebenslustige Grete (Barbara Petritsch) hockt lauernd am Tisch. Wenn ihr irgendwie "lustig" zumute ist und sie die Fleischeslust anwandelt, verwüstet sie mit dem Lippenstift das Make-up. Die jüngste der drei Grazien heißt Mariedl (Stefanie Dvorak). Sie hält beim Fernschauen die Antenne. Sie ähnelt der Freiheitsstatue, ist aber bloß ein armes, gottesfürchtiges Mädchen mit schlotternden Knien.

Damentag heißt hier: Diejenige, die am Wort ist, vergällt den beiden anderen das Glücklichsein. Als einigendes Band der kuriosen Wohngemeinschaft gilt das, was man einst den "autoritären Charakter" genannt hat. Erna und das Mariedl bestreiten ihr Leben im Wesentlichen damit, anderen den Dreck wegzuräumen.

Die verwitwete, etwas wohlhabendere Grete duldete einst die Übergriffe ihres ersten Gemahls auf die gemeinsame Tochter. Ernas Sohn, ein "Bild von einem Mann", ist der Trunksucht verfallen. Sie alle eint der Glaube an die Segnungen der Kirche. Alle drei Frauen meinen, ihr Fleisch verleugnen zu müssen. Eine einigermaßen begründete Aussicht auf die Auferstehung besitzt nur die Jüngste. Mariedl versteht sich wie niemand sonst auf die Kunst, mit ihrer bloßen Hände Fleiß verstopfte Klomuscheln freizuräumen. Sie ist eine Undine der Klosettanlagen; eine nach Scheiße duf- tende Zauberin im Dienste der Menschheit.

In seinem Erstling warf Schwab einen faszinierten Blick zurück in die Grazer Kindheitswelt. Ins Auge sticht als Erstes natürlich die prinzipielle Abwesenheit der Männer. Die letzten Gattungsexemplare sind bigotte Fleischhauer ("Karl Wottila"), Priester und Trunkenbolde. Sexualpartner stellt man sich als Tubabläser vor, die neckisch ihre Finger in die Gesäße der Damen stecken ("in mein Schatzkisterl"). Als letztes Gegenüber haben die drei nicht den Tod, sondern nur einander. Und wie! Erna (Fritsch) sitzt als die wahre Präsidentin ohne Mandat unter der Bedeckung einer kolossalen Fellmütze am Tisch. Sie überwacht das Geplapper der Kolleginnen. Sie züchtigt die Schwächste unter Einsatz ihres Gehstocks.

Längere Zeit bleibt unklar, was Regisseur David Bösch zur Exhumierung des Gruseldramas bewogen hat. Aber war Bösch nicht immer ein prächtiger Instinktmusiker? Die Schauspielerinnen beginnen moderat. Im zweiten Teil, nach kurzem Gesang des Liedes von "Einsamen Mädchen", nimmt der eindreiviertelstündige Abend mächtig Fahrt auf.

Dreierlei Musizierarten

Man glaubt sich in das Ensemble-Spiel einer Jazz-Combo versetzt. Grete (Petritsch) wäre das Baritonsaxofon. Trotz näselnden Klangs spielt sie erstaunlich delikat. Erna (Fritsch) ähnelt dem Tenorsaxofon. Sie deckt die breite Mitte ab und entlädt all ihre menschliche Niedertracht in "Growls" und Grunzern.

Mariedl (Dvorak) aber ist die Klarinette. In immer verzückteren Kadenzen schraubt sie sich dem Himmelreich auf Erden entgegen. Die ringförmige Neonlampe über ihr ersetzt dem armen, unterdrückten Wesen den Heiligenschein. Man hat Stefanie Dvorak noch nie so bezwingend gesehen, so lind und leicht, mit rotgeränderten Augen überschnappend.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die beiden älteren Damen dem Mariedl sein Glück nicht vergönnen. Das vorletzte Wort in diesem Klassiker der Wohnküchenliteratur haben die Elektromesser. Das allerletzte gehörte dem völlig zu Recht jubelnden Publikum. (Ronald Pohl, 5.10.2015)