STANDARD: Sie beteiligen sich an der Initiative "Wir wollen mehr", die explizit die Ablösung von Werner Faymann fordert. Warum ist man damit direkt nach der Wien-Wahl online gegangen?

Buchinger: Vor der Wien-Wahl wollten wir nicht Unruhe erzeugen. Jetzt sind die nächsten Wahlen die Bundespräsidentenwahlen, dann gibt es bis 2018 keine Wahlen. Also ein Zeitraum, wo man frei von wahltaktischen Überlegungen grundsatzpolitische und personenbezogene Entscheidungen diskutieren kann.

STANDARD: Sie waren unter Alfred Gusenbauer gemeinsam mit Werner Faymann in einer Regierung: Warum trauen Sie ihm jetzt das Amt des Kanzlers nicht mehr zu?

Buchinger: Werner Faymann hat fast sieben Jahre die Funktion des Bundeskanzlers und Parteivorsitzenden ausgeübt. Er hat Stärken und Schwächen gezeigt – wie jeder Politiker und jede Politikerin. Es geht auch nicht darum, den Kanzler zu dämonisieren. Aber: Durch die Art und Weise, wie er seine Themen gesetzt hat und wie er gescheitert ist, hat er seine Glaubwürdigkeit eingebüßt. Jetzt ist es Zeit für einen inhaltlichen, aber auch personellen Wechsel an der Partei- und Regierungsspitze.

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Ein Bild aus besseren Zeiten: der damalige Sozialminister Erwin Buchinger (links) und Infrastrukturminister Werner Faymann bei einer Pressekonferenz zum Thema Lehrlingsausbildung im Februar 2008.
Foto: apa/jäger

STANDARD: Was kann man Werner Faymann als Person vorwerfen?

Buchinger: Was ich der Regierungspolitik der letzten Jahre vorwerfe, ist, dass zwar teilweise die richtigen Themen gesetzt wurden – etwa soziale Gerechtigkeit. Aber durch die fehlende Umsetzung ist das zu Worthülsen verkommen, wodurch die Glaubwürdigkeit der SPÖ über einen längeren Zeitraum beschädigt werden kann. Man hat den Eindruck, hier wird Politik für die Galerie gemacht, für kurzfristige Interessensbefriedigung. Zur Sicherung der nachhaltigen Politikfähigkeit muss man manchmal auch in Konflikte mit der ÖVP, mit Teilen der Gewerkschaft treten.

STANDARD: Ist Ihr Vorgehen nicht illoyal. Faymann wurde erst vor einem Jahr als Parteichef wiedergewählt? Zwar nicht mit überwältigender Mehrheit, aber immerhin mit 84 Prozent.

Buchinger: Bereits dieses Ergebnis hätte Anlass sein müssen, sowohl inhaltlich als auch personelle Konsequenzen zu ziehen. Das ist nicht passiert. Daher muss man jetzt reagieren. Man muss die Sorgen, die man hat, auch öffentlich artikulieren. In einer Art und Weise, die möglichst wenig verletzend ist, aber trotzdem inhaltlich deutlich. Das versuchen wir mit der Initiative "Wir wollen mehr".

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Heute drängt Buchinger auf einen Abgang Faymanns: "In einer Art und Weise, die möglichst wenig verletzend ist, aber trotzdem inhaltlich deutlich."
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

STANDARD: Ist es nicht seltsam: Michael Häupl wird für seine Haltung in der Asylfrage gelobt. Faymann stimmt sich in allen Bereichen mit Häupl ab, fährt dieselbe Asyllinie, gilt aber als Schwachstelle.

Buchinger: In der Asylfrage hat der Kanzler in den letzten Wochen und Monaten eine Politik realisiert, die durchaus Respekt verdient. Er hat sich an jeden Schritt, den die deutsche Kanzlerin vorformuliert hat, angeschlossen und das unterstützt. Der Vorwurf an die Bundespolitik aber ist, dass man sich in keinster Weise vorausschauend auf diese Entwicklung vorbereitet hat. Die Probleme kommen in einer Massivität auf uns zu, die das politische System infrage stellt. Was meine ich konkret: In der Arbeitsmarktpolitik hätte man ausländische Arbeitskräfte, Personen mit Migrationshintergrund der zweiten Generation, aber auch niedrig qualifizierte Österreicher bereits in den letzten Jahren gezielt vorbereiten müssen für höherwertige Jobs. Es war klar, dass vor allem unqualifizierte Arbeitskräfte massiv unter Druck kommen werden.

STANDARD: Den Vorwurf, nicht vorbereitet gewesen zu sein, könnte man Angela Merkel aber genauso machen.

Buchinger: Ja, aber in viel, viel abgeschmälerter Form. Wenn man sich ansieht, wie sich die Arbeitsmärkte in Deutschland und Österreich entwickelt haben, dann geht das diametral auseinander. Deutschland ist es gelungen, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Deutschland hat mehr in Arbeitsmarktpolitik investiert. Österreich hat die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik trotz steigender Arbeitslosigkeit nicht erhöht, sondern gleich gehalten. Antizyklische Arbeitsmarktpolitik war 40 Jahre lang das Credo sozialdemokratischer Politik. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten muss man investieren. Das ist auch gar nichts genuin Sozialistisches, wurde auch unter Schwarz-Blau so gehandhabt. Die Regierung Faymann ist aber von diesem Grundsatz abgegangen.

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Bei Christian Kern hätte Buchinger "keine Bedenken".
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

STANDARD: Als einzige Alternative zu Faymann wird ÖBB-Chef Christian Kern gehandelt. Wäre unter einem Manager wie ihm die Rückbesinnung auf sozialdemokratische Werte wirklich leichter?

Buchinger: Ein Neustart ist immer eine Chance für eine inhaltliche Neupositionierung. Das ist fast personenunabhängig. Christian Kern kann in seiner Vita auch nicht nur auf Managementqualitäten verweisen, er kommt aus der sozialdemokratischen Jugendbewegung – also da hätte ich keine Bedenken. Ich würde die Diskussion aber nicht auf den Genossen Kern verkürzen. Ich sehe mehrere Personen – Männer und Frauen – die den Vorsitz in der Partei und die Kanzlerschaft übernehmen könnten. Ich würde sie aber nicht öffentlich benennen wollen.

STANDARD: Bisher haben sich wenige prominente SPÖ-Mitglieder als Anhänger von "Wir wollen mehr" geoutet: Gibt es die nicht, oder trauen sie sich nicht raus?

Buchinger: Viele Parteimitglieder, die mit den Inhalten dieser Initiative sympathisieren, sagen mir: "Nein, ich traue mich nicht, das öffentlich kundzutun. Ich fürchte, unter Druck gesetzt zu werden." Das ist für sich schon besorgniserregend, weil es eine offene Diskussion verunmöglicht.

STANDARD: Sollte es keinen Wechsel an der Parteispitze geben: Ist dann die Gründung einer neuen Linkspartei eine Option? Eine Art Syriza für Österreich? Würde es dafür einen Platz geben?

Buchinger: Ein Markt für eine Partei links der Mitte und links der SPÖ wäre sicher vorhanden. Ich würde ihn auf bis zu 25 Prozent beziffern – wenn es glaubwürdige Personen und ein gutes Programm gäbe. Ich selber habe aber immer betont, mich an einem solchen Projekt nicht beteiligen zu wollen. Ich war immer in der Sozialdemokratie aktiv und werde als Sozialdemokrat mein politisches Leben beenden.

STANDARD: Aber gibt es Leute, die das konkret überlegen?

Buchinger: Solche Überlegungen gibt es seit Jahren, es gibt auch immer wieder Vorstöße und Anfragen. Ich persönlich halte davon aber nichts. Eine Zersplitterung der Kräfte kann taktisch vielleicht kurzfristig ein Vorteil sein, langfristig sehe ich es aber nachteilig. (Günther Oswald, 23.10.2015)