Für "KZ.Imaginaire (eingebildet und krank)" hat man Motive aus Molières "Der eingebildete Kranke" entlehnt.

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Autriche (Rosa Braber) und Allemand (Ernst Kurt Weigel) beim Quickie.

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Wien – Lametta umkränzt die erhöhte Bühne, unter der die Schauspielerinnen und Schauspieler hervorkriechen, zunächst aufgeregt gackernde und flatternde Vogelmenschen. Dann der Großvater, im Ganzkörper-Heldengold (Michael Welz); Tochter Autriche im roten Dirndl (Rosa Braber); ihr Freund Allemand, dem selbst beim Quickie die rechte Hand zum Hitlergruße hochschnellt (Ernst Kurt Weigel); Dr. Masante, der Körpertherapeut, dem kein Psycho-Sprech fremd ist (Kajetan Dick); DU, der Assistent mit Migrationsgegenwart (Victor Yuri Correa Vivar), dessen Name für allerhand Verwirrung sorgt ("Was ist mit DU? Alle glauben, ich wäre ein Rassist, weil ich DU zu ihm sage"); und schließlich Erneste, Enkel des Heldenopas im Molière-Outfit (Grischka Voss), der die Geschichte vom eingebildeten Seelenkranken erzählt, natürlich in Bernhard-Ensemble-Manier: nämlich drastisch.

Absolut nichts ist tabu

Das eisern beibehaltene Regiekonzept im Off-Theater in der Kirchengasse: Zwischen Commedia dell’Arte und Wiener Aktionismus ist alles möglich und absolut nichts tabu. Ernst K. Weigels (autobiografische) Tragikomödie KZ.Imaginaire (eingebildet und krank) wurde nun im Rahmen von Out of Control, dem Netzzeit-Festival für neue Musik, uraufgeführt. Es ist ein Singstück über wahre Helden und eitle Schwätzer, über Widerstandskämpfer und Mitläufer, über Flüchtlinge, Aufnahmestopps und Hilfsbereitschaft. Heilig ist den Bernhardisten nichts, vor allem nicht die Familie, Brutstätte von Ängsten aller Art, Käfig und Möglichkeitsform in einem.

Alles ist lachhaft und vieles zweischneidig. Klar wird da lustvoll in Scheiße gerührt (übrigens: gelb). Weigel erzählt, wie es ist, wenn der Großvater ein Widerstandskämpfer war, der Dachau überlebt hat, schwer traumatisiert war und dem Korrigierwahn anheimgefallen: "Der Großvater hat die ganze Welt retten wollen und wir haben dafür gebüßt... Er korrigierte die Weihnachtspost, die Urlaubspost, die Kochrezepte, die Nachrichtensprecher, die Hunde, die Wurstverkäufer, die ganze Welt. Alle, die ihn kannten, nannten ihn Faschist, jeder dachte über ihn, der muss der Supernazi sein, wie der die Menschen zurechtkorrigiert."

Phantasien außer Kontrolle

Enkel eines Helden zu sein, lastet schwer. Wo bleibt man selbst? Was fühlt sich richtig an? Ähnlich wie Argan in Molières Der eingebildete Kranke bildet sich Erneste ein, psychisch krank zu sein, sucht therapeutische Hilfe. Aber alle sagen ihm, er sei normal. Das macht ihn (fast) verrückt, Phantasien geraten außer Kontrolle.Eine wirklich tolle Teambereicherung ist Florian Kmet als Einmann-Band, der das groteske, überdrehte, traurige, lustige, gnadenlose Spiel live begleitet. Fast möchte man sagen: es mit seinem groovigen Gitarrensound, dem Kratzen und Scheuern und Zupfen, mit seinen Schlagwerkzeugen, Loops und Mixes sensibel lenkt. Auf den Paukenschlag genau die Slapstickereien. Schlicht wunderschön die Melodien für die (übrigens echt guten) Songs. (Andrea Schurian, 2. 11. 2015)