Das Schauspielhaus wurde gleich nochmals ins Schauspielhaus hineingebaut: Sebastian Schindegger und andere versuchen in "Punk & Politik", die EU-Sterne mit dem Herzen zum Leuchten zu bringen.

Foto: M. Heschll / Schauspielhaus

Wien – Jedem Auftakt einer neuen Ära wohnt ein Zauber inne. Feenstaub wehte einst über den Atlantik herüber, als Barack Obama zum ersten Mal ins Weiße Haus einzog. Vorfreude auch in der Wiener Porzellangasse, wo Tomas Schweigen und sein Team ab nun das Schauspielhaus neu bespielen.

Und was soll man sagen: Die reuelose Freude eines Kindergeburtstages erfasst jeden, der sich dieser Tage an der politisch gemeinten Talk-Revue Punk & Politik ergötzt. In den Wandelgängen des Theaters darf man sich an Lakritzschnecken laben. Ein Bücherbord an der Wand lädt zu flüchtiger Lektüre ein, etwa von einigen Festmetern der Zeitschrift kolik.

Die Aufführung selbst lässt sich, wie um den Zauber auszukosten, mit dem Anfangen Zeit. In den Zuschauerraum hat man das Schauspielhaus gleich noch einmal hineingebaut (Ausstattung: Stephan Weber). Straßengeräusche ziehen an der gedoubelten Fassade vorüber. Eine Laufschrift heißt willkommen, vertröstet auf den baldigen Beginn. Man ahnt es, die neuen Schauspielhaus-Betreiber sind gekommen, um lange zu bleiben. Jetzt schon haben sie alle Zeit der Welt.

Und wer bereits so witzig anfängt, lässt sich in Fragen der Politik gleich gar nicht lumpen. Das Ensemble nimmt elegant gekleidet auf Stühlen Platz. Ein Herr mit Wollmütze (Jesse Inman) erklärt auf Englisch, was es mit der kommenden Show auf sich habe.

"Ehrlich" wollen die Damen und Herren mit den Zuschauern kommunizieren. Die Herrschaften sind offenbar Politiker in spe. Inspiriert hat sie der isländische Komiker Jón Gnarr, der, mit nichts als viel gutem Willen im Gepäck, es vor einigen Jahren zum Bürgermeister von Reykjavík gebracht hat. Ein gelungenes Beispiel für europäisches Bürgerengagement, wie es Tomas Schweigen (Regie) und seinem Team vorschwebt.

Verdruss und gute Absicht

Da ist es wieder, das Politikverständnis aller EU-Bürger, die guten Willens sind, sich (angeblich) von den bösen Eliten in Brüssel aber etwas vormachen lassen. Das alles führt zu galoppierender Verdrossenheit, grassierendem Rechtspopulismus. Fünfzig Jahre Vernunftkritik im Geiste Habermas' haben kaum etwas gefruchtet: Noch immer bemisst sich das hohe Gut der Teilhabe an Politik daran, wie blind man sich kopfüber in sie hineinstürzt. Als ob Expertenwissen nichts zählen würde. Ganz zu schweigen vom Prinzip der Subsidiarität. Im Schauspielhaus zählt mehr die gute Absicht.

Reihum hält das Ensemble Referate, gegossen in wunderschöne Konjunktive, die Gelegenheit geben, sich beim Publikum rhetorisch einzuschmeicheln. Da raunt die Pragmatikerin (Sophia Löffler), da schrillt die Hysterikerin (Vassilissa Reznikoff), da schwimmt der Softie (Steffen Link) im Fett der Betroffenheit.

Liddeckelflackern vor lauter Augenzwinkern

Sieht man von ein paar prächtigen Video-Einspielungen mit dem kettenrauchenden Brüssel-Experten Robert Menasse ab, ist das alles bräsiges Politkabarett. Spaßeshalber gründen die Politaktivisten eine Internationale der Herzen, mit Filialen in den Theatern von Graz bis Aachen. Treuherzig ist das, die Liddeckel flattern vor lauter Augenzwinkern. Geworben wirbt mit herzzerreißender Einfalt für einen Cluster der Regionen. An der "kollektiven Stückentwicklung" von Punk & Politik wird man Schweigen und Co noch nicht endgültig messen wollen. Auch ob die Übertragung isländischer Verhältnisse auf Zentraleuropa irgendwo hinführt, bleibe dahingestellt. Zum Ausklang erschien das Team jedenfalls in nordischer Adjustierung, um wie die Geysire auf Isländisch loszusprudeln.

Es gibt noch viele Lakritzschnecken zu lutschen, bis sich über das neue Porzellangassentheater etwas wirklich Stichhaltiges aussagen lässt. Mit Feenstaub wurde vorerst streng gegeizt. Das ebenso reformorientierte wie institutionskritische Publikum ließ es sich nicht verdrießen und zeigte sich hellauf begeistert. (Ronald Pohl, 1.11.2015)