Thomas Maurers Miene spiegelt die Bereitschaft zur Toleranz wider: "Mein Bühnen-Ich bemüht sich redlich darum!"

Foto: Ingo Pertramer

STANDARD: Der deutsche Kabarettist Serdar Somuncu gibt als "Hassias" einen alles und jedem gegenüber intoleranten Hassprediger. Liefern Sie jetzt als Tolerator das Gegenstück dazu?

Maurer: Also gespiegelt ist es nicht. Man kann gut zwei Stunden vor sich hin hassen, aber zwei Stunden tolerieren ist vielleicht ein bisserl fad. Der Abend ist einfach das Produkt dieses Toleranzbegriffs, der umso schlüpfriger wird, je mehr man sich mit ihm befasst. Es handelt eher von den Mühen und den persönlichen Grenzen beim Üben der Toleranz. Die Ambivalenz des Begriffs besteht ja schon einmal darin, dass man nur Dinge toleriert, die man eigentlich nicht ausstehen kann, sonst wären sie einem ja willkommen.

STANDARD: Das Wort kommt ja von "tolerare", das heißt "ertragen/erdulden". Goethe hat sinngemäß gesagt, dass jemand, der erduldet, auch beleidigt. Man stellt sich moralisch über ihn.

Maurer: Genau. Tolerieren ist auch eine Form der Statuserhöhung. Das wird durchaus ein Teil des Programms sein.

STANDARD: Wenn wir die Übersetzung "ertragen" nehmen, ist es eigentlich auch zum Leiden nicht weit. Ist der tolerante Mensch also ein geplagter Mensch?

Maurer: Der Mensch ist an und für sich immer ein geplagter Mensch. Der Tolerante ist aber natürlich sehr spezifisch geplagt. Weil er ein Stück seiner persönlichen Freiheit, sei es freiwillig oder unter Druck, zurücknimmt, um ein soziales Miteinander zu ermöglichen. Die meisten von uns lernen zum Beispiel, ihre Wutanfälle zu kontrollieren oder Ambivalenzen auszuhalten. Das Paradoxe ist aber, eine tolerante Gesellschaft wäre nach der Wortdefinition eigentlich eine Gesellschaft, in der Leute zusammenleben, die sich gegenseitig nicht aushalten, aber sich auszuhalten gelernt haben. Paradiesisch klingt das nicht.

STANDARD: Ludwig Marcuse hat gesagt, dass Toleranz immer genau so viel wert ist wie das Motiv des Tolerierens. Und diese Motive können ja auch Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit oder Feigheit sein.

Maurer: Da müsste ich drüber nachdenken, ob es nicht in der praktischen Auswirkung trotzdem angenehmer ist, wenn jemand aus Wurschtigkeit Dinge zulässt, die jemand mit einem gefestigten, etwa religiösen Weltbild nicht zulassen würde. Ein wurschtiger Diktator ist wahrscheinlich angenehmer als ein ideologisch hochmotivierter.

STANDARD: Ab wann ist man eigentlich intolerant? Erst dann, wenn ich dafür sorge, dass diese Meinung nicht mehr geäußert wird?

Maurer: Wenn jemand die oder die Meinung am liebsten verbieten würde. Natürlich gibt es Meinungen, die richtiger sind als andere, weil sie zum Beispiel wissenschaftlich begründet sind. Im akademischen Milieu wird es zum Teil aber auch absurd. Wenn es etwa in den Gender Studies zu den abenteuerlichsten grammatikalischen Verrenkungen kommt, um niemanden theoretisch Beleidigbaren auch nur zu streifen.

STANDARD: Im Kabarett besteht die Möglichkeit zum Verlassen der Political Correctness.

Maurer: Ich glaube, dass die Diskussion über Political Correctness in Österreich eine Chimäre und eigentlich ein Popanz der Rechten oder der Kronen Zeitung ist. Intensiv beschäftigen sich vorwiegend jene damit, die sich sowieso grundsätzlich unkorrekt verhalten. Und sich dann in die Rolle werfen, die Kraus "die verfolgende Unschuld" genannt hat: Nämlich sagen, dass sie das, was sie sagen, ja eigentlich nicht sagen dürften, wegen der Political Correctness. Dafür bekommen sie dann auch noch einen Heldenbonus.

STANDARD: Ist Ihr Tolerator so ein Held?

Maurer: Mein Bühnen-Ich bemüht sich redlich um Toleranz, muss aber erkennen, dass er dafür von Haus aus nicht sehr gebaut ist. Sowohl in den großen Themen als auch in den kleinen Bereichen des Lebens ist er sehr aufbrausend. Die Komik liegt natürlich immer im Scheitern. Und da ist Toleranz ein schönes Thema. Ähnlich wie bei der christlichen Nächstenliebe stößt man ja in der Regel auch mit dem Toleranzgebot mehrmals täglich an seine Grenzen. Zwei inhaltliche Eckpunkte des Programms sind der Islam und die FPÖ.

STANDARD: Beim Islam toleriert Österreich im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern den Ganzkörperschleier. Richtig so?

Maurer: Da das in Österreich derzeit einfach keine relevante Zahl betrifft, hielte ich ein Verbot für identitäres Brusttrommeln. Es wird im Übrigen schon deswegen nicht kommen, weil da der Tourismusverband Salzburg auf die Barrikaden ginge. Die verdienen viel mit saudischen Touristen, dort sind die kulturellen Differenzen dann auf einmal gar kein Problem. Gefallen tut's mir natürlich nicht. Aber über solche Verbote kann man erst diskutieren, wenn es eine relevante Zahl erreichen würde.

STANDARD: Leben und leben lassen?

Maurer: Innerhalb gewisser Grenzen halte ich das für ziemlich gesund, ja. Aber es geht natürlich nicht, dass etwa Kinder nicht in die Schule geschickt werden, weil sie irgendwann eh verheiratet werden. Diese Dinge sind aber eh bereits gesetzlich geregelt. Was ich nicht sinnvoll finde, ist, Gesetze zu Luftproblemen zu verabschieden.

STANDARD: Von symbolischer Wirkung ist oft die Rede.

Maurer: Die symbolische Wirkung würde eher bei denen ankommen, die sowieso alles Fremde beängstigend und bedrohlich finden und weniger bei denen, an die so etwas vernünftigerweise adressiert sein soll.

STANDARD: Wurden Probleme bei der Integration beschönigt?

Maurer: Es ist in der Vergangenheit sicherlich viel Blödsinn passiert. Etwa, dass man bis in die 1980er-Jahre geglaubt hat, die sogenannten Gastarbeiter würden eh wieder alle heimfahren. Man hat seitens der SPÖ bewusst und seitens der ÖVP wahrscheinlich aus Wurschtigkeit die Tatsache, dass es Probleme gibt, lange ignoriert. Und dann hat man den Fehler gemacht, zähneknirschend den Forderungen der FPÖ nachzugeben, gleichzeitig aber etwas anderes behauptet. Eine psychologisch sehr ambivalente Botschaft. Wichtig für das Zusammenleben ist das Beherrschen einer gemeinsamen Sprache und das Einhalten unseres Wertekanons. Das heißt, ich muss es auch als frommer Mensch aushalten, wenn bei einer Hotpants der halbe Hintern rausschaut.

STANDARD: Wird in ihrem Programm auch die jüngste Lawine an Internetpostings zur Flüchtlingskrise eine Rolle spielen?

Maurer: Ja, das nimmt eine zentrale Stelle ein. Die Kommunikationskultur hat sich damit sehr verändert. Da ist erstens die Möglichkeit der Anonymität. Und zweitens gibt es diese Facebookgruppen, die eigentlich nur Echokammern sind. Da drin hören die Leute nur noch sich selbst und müssen sich in ihrer Meinung gegenseitig aufschaukeln. Wenn wir jetzt hier den Computer aufklappen, haben wir innerhalb einer Minute die erste "Mauthausen aufsperren"-Forderung aufgespürt. Und das hat eine Dichte und Selbstverständlichkeit angenommen, die vor zehn Jahren aufgrund anderer medialer Kommunikationsformen noch nicht da war. Früher musste man mit einem Hassbrief noch auf die Post gehen. So etwas bremst.

STANDARD: Auch die politische Kommunikation lief schon besser.

Maurer: Der Aufstieg der FPÖ hat sicherlich auch stark mit dem kommunikativen Versagen der anderen Parteien zu tun. Ich finde ja, dass Christian Konrad den Job als Flüchtlingskoordinator ganz gut macht. Aber dass man da extra wen aus der Pension zurückholen muss, damit irgendetwas passiert, das ist ein erschütterndes Zeugnis von Handlungsunfähigkeit. Ein beängstigendes Signal. Wenn die Hypo ähnlich gut gemanagt wurde wie die Flüchtlingskrise, wundert einen nichts mehr. Das ist, wie wenn man im Flugzeug sitzt, und der Kapitän kommt an mir vorbeigetorkelt. (Stefan Weiss, 9.11.2015)