Karin Bergmann gestaltet den "Klangkörper" namens Burgtheater behutsam um. Statt Adina Vetter oder Stefanie Reinsperger hört man künftig eben Andrea Wenzl oder Marie-Luise Stockinger.


Foto: Reinhard Maximilian Werner

STANDARD: Im Zuge der Aufarbeitung der Burg-Ära Hartmann wurde bekanntgemacht, das Burg-Ensemble umfasse aktuell 68 Schauspielerinnen und Schauspieler. Noch vor 15 Jahren waren es knapp 100. Was hat sich strukturell verändert, dass heute um ein Drittel weniger Ensemblemitglieder gebraucht werden?

Bergmann: Als ich mit Claus Peymann vor bald drei Jahrzehnten ans Haus kam, waren es fast 120 Leute. Das hängt damit zusammen, dass es für Schauspieler am Haus früher nach zehn Jahren die Pragmatisierung gab. Als die Direktion Bachler vor 16 Jahren begann, war der Anteil pragmatisierter, das heißt unkündbarer Mitglieder viel größer. Diese sind dann sukzessive in Pension gegangen. Heute besitzen wir dadurch ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten.

STANDARD: Man ist mit 68 Personen näher dran am Bedarf?

Bergmann: Absolut. Aber damit auch am Ende der Fahnenstange. In Wahrheit sprechen wir ja von zwei Häusern. Die Größe des Akademietheaters entspricht fast derjenigen der Münchner Kammerspiele. Wir spielen an beiden Häusern Repertoire und haben ein großes Abonnement. Ich sage immer: 60 ist das absolute Minimum an fest engagierten Schauspielern. Dazu gibt es ja immer einen Pool an Gästen, also Schauspielern, die nicht oder nicht mehr in Festverträgen stehen, sondern nach Vorstellungen bezahlt werden und noch im Repertoire zu sehen sind. Daher würde ich sagen: 70 feste sind besser als 60.

STANDARD: Nehmen Regisseure der allerersten Qualitätsstufe nicht auch Schauspieler mit?

Bergmann: Nach der Generation Zadek gibt es das nur noch selten. Jemand wie Andreas Kriegenburg hat beim Besetzen von Wassa Schelesnowa klar zum Ausdruck gebracht: "Ich besetze komplett aus dem Ensemble. Ich bin an die Burg zurückgekommen, um mit den Leuten hier zu arbeiten." Hier befindet sich ein exzellentes Ensemble, das quer durch alle Generationen besetzt werden kann. Aber es ist genauso in Ordnung, jetzt zum Beispiel bei Andrea Breths Hopkins-Inszenierung August Diehl als Gast zurückzuholen, der hier schon fest gearbeitet hat. Oder für das Hotel Europa den Schauspieler Michael Klammer, der uns sehr interessiert.

STANDARD: Martin Wuttke sprach im Rahmen der "Nestroy"-Gala vom Abschiednehmen von Wien. Wie ist es dazu gekommen?

Bergmann: Martin Wuttke ist ein Schauspieler, den man immer gerne am Haus hat. Ob man ihn fest an das Ensemble binden kann, das weiß ich nicht, da er auch bei Film und Fernsehen so gefragt ist, dass er sich sehr selektiv seine Arbeiten aussucht. Das steht ihm zu. Man braucht dann halt eine gewisse Zeit, um gemeinsame Projekte zu verabreden, auf Basis einer loseren Verabredung. Da ich mit René Pollesch weiterarbeiten werde, bin ich zuversichtlich, dass Wuttke wieder bei uns auf der Bühne stehen wird.

STANDARD: Schauspieler Oliver Masucci wurde stark mit den Aufführungen Matthias Hartmanns identifiziert. Hängt sein bevorstehender Abgang mit folgendem Syndrom zusammen: Die Orchesterleiterin, also Sie, möchten einen neuen Orchesterklang hören?

Bergmann: Genau darum geht es, um den Zusammenklang eines Orchesters. Und darum, ob Leute bereit sind, sich als Teil eines solchen Orchesters wahrzunehmen. Mit Hartmann sind viele Schauspieler gekommen: Fabian Krüger, Sarah Viktoria Frick, André Meyer. Sie alle spielen weiter hier. Es geht doch nicht darum, ob ich mich von Leuten trennen will, die mit Matthias Hartmann gekommen sind! Mich interessieren Begabungen und keine Ideologien.

STANDARD: Um was geht es dann?

Bergmann: Ich leite ein Haus mit 19 Premieren in der Spielzeit. Und wenn ich mit den Regisseuren Besetzungsgespräche führe, und es wird nach jemandem gefragt, dann muss ich wissen: Kann ich einen Schauspieler so einsetzen, wie er einsetzbar sein müsste?

STANDARD: Sie sprechen über Verständigungsfragen?

Bergmann: Und man muss es so hart formulieren, es geht auch um Angebot und Nachfrage. Ich habe den Impetus, dass alle nach ihren Möglichkeiten und Wünschen zum Spielen kommen. Das ist nicht immer möglich, aber man bemüht sich. Wenn manchmal Erwartungshaltung und Möglichkeiten auseinanderklaffen, ist es richtiger, man trennt sich.

STANDARD: Die Burg galt einmal als die logische Endstation allen Sehnens und Trachtens. Das Burgtheater verhielt sich früher unmittelbar zu Gott und Kaiser, später vielleicht zur Republik. Vielleicht ist die Burg am Ende des Tages ja auch bloß ein ganz normales Theater?

Bergmann: Es ist ein ganz normales Theater. Ich kann es mir nicht an die Fahnen heften, dass Joachim Meyerhoff zurückgekommen ist. Der geht ganz einfach dorthin, wo er ideale Arbeitsbedingungen vorfindet. Und genau diese sollen er und alle hier vorfinden. Hinzu kommt das Verhältnis des Publikums zum Haus, der besondere Aufmerksamkeitsfokus, die Auslastung ... Ich muss mich gegenüber dem Aufsichtsrat in Sachen Auslastung über eine Zahl befragen lassen, die eine Acht vorn stehen hat. Im Deutschen Schauspielhaus Hamburg feiert man gerade zum ersten Mal seit 20 Jahren eine Auslastung von 69,4 Prozent. Es ist also ein ganz normales Theater, aber mit einem verpflichtenden Nimbus. Und mit einem sehr hohen Niveau.

STANDARD: Schafft das Probleme?

Bergmann: Schauspieler erwarten völlig zu Recht, dass sie größtmöglich eingesetzt werden. Hier sind Schauspieler, die auch viel in kleineren Partien zu sehen sind. Sie würden, wenn sie an ein anderes Haus wechselten, dort sofort protagonistisch tätig sein. Andererseits haben wir hier eben hervorragende Arbeitsbedingungen, auch wenn ich weiß, dass in Hamburg und Berlin teilweise bessere Gagen gezahlt werden. Dieses Zusammenspiel aller Stellen, von der Technik bis zu den Garderoben, gibt es nur hier, bei uns. Hier werden die Leute von den Künstlern mit Namen persönlich angesprochen.

STANDARD: Alles eitel Wonne?

Bergmann: Ich gebe mir Mühe. Ein bisschen Reibung schadet aber nie, das schafft auch wieder neue Impulse. Es ist wichtig und richtig, hier junge Schauspieler ans Haus zu holen wie damals Birgit Minichmayr oder heute Christoph Radakovits oder Marie-Luise Stockinger und sie so aufzubauen, dass sowohl Regisseure wie auch das Publikum Zeit haben, die Entwicklung zu beobachten. Genau so richtig ist es, wenn dann die Wege wieder auseinandergehen. (Ronald Pohl, 13.11.2015)