"Ich bin positiv überrascht", sagt Bildungspsychologin Christiane Spiel: "Es ist natürlich nicht der riesigste Wurf, aber es geht alles in die richtige Richtung."

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STANDARD: Ist die nun vorgelegte Bildungsreform ein großer Wurf?

Spiel: Ich bin positiv überrascht. Es ist natürlich nicht der riesigste Wurf, aber es geht alles in die richtige Richtung.

STANDARD: Positiv überrascht, weil?

Spiel: Weil wirklich kritische Punkte angegangen wurden – das zweite verpflichtende Kindergartenjahr, der Elementarbereich. Die Autonomie war ja schon lange angekündigt. Und die Frage Bund-Länder-Verwaltung ist zumindest in einer Form gelöst, die wirklich wesentlich besser ist als befürchtet. Man muss vielleicht sogar sagen, den Föderalismus, den wir haben, der zieht sich ja durch alle Politikfelder und wird wahrscheinlich nicht so schnell und nur über den Bildungsbereich aufzulösen sein. Wenn man da jetzt gemeinsame Datenklarheit und -transparenz hat, ist das vielleicht gar nicht schlecht zum Abbau von wechselseitigen Ressentiments.

STANDARD: Es wird zwar ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr formuliert, allerdings mit einer Opt-out-Möglichkeit. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Spiel: Ich wäre sehr für die volle zweijährige Verpflichtung. Aber offensichtlich gab es hier starke Widerstände. Ich wäre deswegen dafür, weil es ja für alle Kinder Vorteile bringt. Es ist für die Kinder, die noch dazulernen müssen und nicht so begabt sind, sehr schön, wenn sie von anderen Kindern etwas lernen, und wir brauchen Durchmischung. Und auch für Kinder aus sozial höheren Schichten, wo die Eltern hochgebildet sind und ihnen viel bieten können, ist eine Peergruppe, in der sie lernen, mit anderen Kindern oder mit Konflikten umzugehen, Empathie zu haben und auch Verantwortung zu übernehmen, ebenfalls ganz wichtig. Solche Lernerfahrungen sind nicht so leicht zu bieten, trotz viel Geld und hohem Bildungsstandard.

STANDARD: Thema Autonomie – klingt immer gut, aber wird jetzt alles gut in Österreichs Schulen?

Spiel: Es geht ganz klar in die richtige Richtung und ist daher total zu begrüßen. Eine volle Autonomie mit noch viel mehr Freiheiten für die Schulleitung würde insofern gar nicht gehen, weil wir ja noch ein Lehrerdienstrecht haben, das viele Dinge verhindert. Ich glaube auch, wenn wir uns die Schulleitungen derzeit ansehen, dann sind nicht alle so weit darauf vorbereitet, denn Autonomie heißt ja immer auch gleichzeitig Verantwortungsübernahme. Das heißt, ich muss mich trauen, Entscheidungen zu treffen, ich muss sie begründen können, ich muss eine Qualitätssicherung über diese Entscheidungen machen, ich muss Personalführung können, ich muss Mitarbeitergespräche führen. Das sind viele Dinge, die auch Techniken brauchen, ein Handwerkszeug eines Managements. Das ist noch ganz wichtig, dass auch das parallel vermittelt wird.

STANDARD: Müssen die Schulen also Autonomie erst lernen?

Spiel: Ja, denn plötzlich viel Autonomie zu haben ist auch bedrohlich. Wir müssen auch aufpassen, dass wir nicht in die Richtung gehen, die viele Schulleiterinnen als Gefahr gesehen haben, dass es eine Autonomie der Mangelverwaltung wird. Aber eine schrittweise Autonomie mit der Zielperspektive, sie zu erhöhen und irgendwann auch das Lehrerdienstrecht entsprechend anzupassen sowie ein mittleres Management zu schaffen, wären die notwendigen nächsten Schritte. Der erste Schritt ist jedenfalls getan. Dazu werden wir aber auch Qualifizierungsmaßnahmen und mehr Schulentwicklung brauchen. Denn Autonomie heißt ja auch, dass sich dann die ganze Schule entwickelt.

STANDARD: Die gemeinsame Schule darf mit einer 15-Prozent-Obergrenze in Modellregionen, aber nicht in einem ganzen Bundesland probiert werden. Wien und Vorarlberg wollten das ja. Verdient das den Namen gemeinsame Schule?

Spiel: Das hängt wohl auch mit den gesetzlichen Bestimmungen zusammen, dass solche Modellregionen nicht in ganzen Bundesländern eingeführt werden dürfen. Der Hauptpunkt ist, ich kann aus wissenschaftlicher Sicht dann eine Modellregion gut machen, wenn ein entsprechend großer Anteil von allen Schultypen vertreten ist und auch nicht die Gefahr besteht, dass viele Eltern lieber ihr Kind in ein weitentferntes Gymnasium schicken, weil sie nicht wollen, dass es in eine gemeinsame Schule geht.

Das heißt, es ist dann wirklich eine gute Modellregion, wenn sie die Schultypen, aber auch die Einzugsgebiete der Schüler gut abbildet und ich sie dann mit einer ähnlichen Region vergleichen kann, die nicht als Modellregion geführt wird. Wir müssen ja auch überlegen, welche Ziele formulieren wir, was erwarten wir, dass sich ändert? Das muss auch gut vorbereitet werden und darf nicht einfach so ho ruck gemacht werden. Wenn zum Beispiel nur höchstmotivierte Schulen teilnehmen, dann kann ich die Ergebnisse einer Evaluation nicht generalisieren. Daher sollten die Modellregionen möglichst repräsentativ ausgewählt werden. (Lisa Nimmervoll, 18.11.2015)