Alexander Van der Bellen sieht keine Probleme in der Drittmittelfinanzierung: Die Universitäten sollen sich nicht von der Umwelt abschotten. Dadurch würden relevante Fragestellungen entstehen.

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STANDARD: Vergangene Woche wurde in Wien die Neuauflage von Rot-Grün beschlossen. Was heißt das für die lokalen Hochschulen?

Van der Bellen: Ich hoffe mehr als in der vergangenen Periode.

STANDARD: Rot-Grün I hatte wenige konkrete Pläne diesbezüglich. Was ist diesmal anders?

Van der Bellen: Im Koalitionsübereinkommen wurde erstmals der Forschung und Wissenschaft in Wien viel Raum gewidmet. Wir haben zwei große Baustellen: die Organisation und die Finanzierung. Angesichts des Versagens des Bundes bei der Finanzierung sind die Länder stärker gefordert, etwas beizutragen. Wir hatten Erfolge, aber es ist noch mehr nötig.

STANDARD: Welche meinen Sie?

Van der Bellen: Den Beschluss, für den Wiener Forschungsförderungsfonds (WWTF) Matching Funds einzurichten: Wenn der WWTF private Gelder einwirbt, verdoppelt die Stadt diese Mittel um bis zu zwei Millionen Euro.

STANDARD: Welche Baustellen sind noch offen?

Van der Bellen: Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass bei einer Stadt mit einem Jahresbudget von zwölf Milliarden Euro und einer Forschungs- und Entwicklungsförderung von 100 Millionen Euro pro Jahr noch Luft nach oben sein muss. Organisatorisch sind die Zuständigkeiten in der Stadt zersplittert. Es fehlt eine Steuerung, derzeit hat keiner den Überblick.

STANDARD: Braucht es hier mehr Transparenz?

Van der Bellen: Ja. Und wir müssen Prioritäten setzen. Ein Negativbeispiel: "Das Haus des Lichts" für die Quantenphysik steht schon in der Strategie der Stadt für Forschung, Technologie und Innovation vom Jahr 2007. Acht Jahre sind seitdem vergangen. Nichts ist passiert. So kann man nicht arbeiten.

STANDARD: Welche Rolle spielt die Drittmittelfinanzierung?

Van der Bellen: Private Drittmittel sind in Österreich noch gering. Solange der Bund seinen budgetären Verpflichtungen nicht nachkommt, haben sie höhere Bedeutung. Wenn der Ölkonzern OMV die Bibliothek der Wirtschaftsuni sponsert, sind damit keine Verpflichtungen verbunden.

STANDARD: Bei Drittmitteln geht es aber nicht nur um Bibliotheken, sondern auch um Forschungsfinanzierung. Kann fremdfinanzierte Forschung unabhängig bleiben?

Van der Bellen: Soll sich eine Uni vollkommen von der Umwelt abschotten? Drittmittelprojekte können relevante Fragen aufwerfen.

STANDARD: Besteht die Gefahr, dass Unis auf bezahlte Forschung fokussieren und andere Gebiete unter den Tisch fallen?

Van der Bellen: Ja, aber es gibt Meldepflichten und eine Ethikkommission. Wenn eine Pharmafirma einen größeren Auftrag zahlt, wird geprüft, ob das vertretbar ist. Wenn der Bund seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommt, sind die Unis auf andere Quellen angewiesen.

STANDARD: Bis 2020 sollen zwei Prozent des BIP in den tertiären Sektor fließen. Ist das zu schaffen?

Van der Bellen: Ja. Aber die Regierung will nicht. Ich habe die Lust verloren, mich damit auseinanderzusetzen, weil nichts passiert. Wir halten derzeit bei maximal 1,4 Prozent des BIP. Es fehlen zwei Milliarden Euro jährlich, und es gibt keinen Budgetpfad dahin. Das sind symbolische Bekenntnisse ohne Verpflichtung.

STANDARD: Wie kann das Ziel noch erreicht werden?

Van der Bellen: Man könnte die Erbschaftssteuer wiedereinführen und die Mittel der Forschung zuführen. Die Regierung begreift das Problem nicht. Unter den widrigen Umständen ist es wirklich erstaunlich, was die Unis leisten.

STANDARD: Die Bundesregierung will die Erbschaftssteuer vorerst nicht wiedereinführen. Woher kann das Geld also sonst kommen?

Van der Bellen: Von Ausgleichszahlungen für Studierendenströme zwischen Deutschland und Österreich. Eine bescheidene Möglichkeit wären Studiengebühren. Davon erwarte ich mir keinen großen Effekt, weil man zugleich das Stipendiensystem ausbauen müsste.

STANDARD: Warum befürworten Sie dann Studiengebühren?

Van der Bellen: Ich habe nie verstanden, warum diese Investition in Humankapital fast zu 100 Prozent von der Öffentlichkeit finanziert werden soll. Akademiker haben die geringste Wahrscheinlichkeit auf Arbeitslosigkeit.

STANDARD: Ihr Ziel als Unibeauftragter war, die Stadt Wien als Wissenschaftsstandort attraktiver zu machen. Hat das funktioniert?

Van der Bellen: Zehn Prozent von Wiens Bevölkerung sind Studierende. Auf der politischen Ebene ist es gelungen, Wien als größten tertiären Ausbildungsort im deutschen Sprachraum zu verankern. In der öffentlichen Wahrnehmung ist das nicht so, auch in Bezug auf ausländische Studierende.

STANDARD: Wie zeigt sich das?

Van der Bellen: In den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik ist der Anteil ausländischer Studierender hoch. Da, wo die Industrie Leute sucht. Man müsste die viel liberaleren deutschen Regelungen übernehmen, damit sie in Österreich bleiben. Es ist ökonomischer Irrsinn, Absolventen wegzuschicken: Das Fremdenrecht behindert Wachstum. Die Ursache liegt im Sozialministerium.

STANDARD: Warum blockiert das Sozialministerium?

Van der Bellen: Weil es ein unrealistisches Bild vom Arbeitsmarkt hat und glaubt, dass eine Stelle wegen eines ausländischen Arbeiters für einen Österreicher verlorengeht. Mit dieser Einstellung hätten wir der EU nie beitreten dürfen.

STANDARD: Die Stelle des Unibeauftragten ist 2010 geschaffen worden. Wie geht es damit weiter?

Van der Bellen: Die Beauftragung war für eine Periode, und die ist mit den Wahlen abgelaufen. Das Regierungsprogramm sieht aber vor, dass die Arbeit fortgesetzt wird und die Ressourcen, die mir zur Verfügung standen, für diesen Zweck erhalten bleiben.

STANDARD: Kandidieren Sie stattdessen als Bundespräsident?

Van der Bellen: Sie müssen die Frage stellen, als Politiker muss ich sie nicht beantworten. Vor Jänner passiert nichts. (Oona Kroisleitner, Selina Thaler, 19.11.2015)

Alexander Van der Bellen (71) studierte VWL in Innsbruck und war Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien. Von 1997 bis 2008 war er grüner Bundessprecher.