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Der überwiegende Teil von Suiziden in Europa wird von Männern begangen. Denn auch Männer haben Probleme – gesprochen wird über diese aber zu wenig.

Foto: apa

Haben Sie eigentlich letzte Woche Donnerstag den Internationalen Männertag gefeiert? Und wenn ja, hatten Sie dabei vielleicht sogar die Worte des deutschen AfD-Politikers Björn Höcke über Männlichkeit im Ohr, die dieser am Vortag von sich gegeben hat? Falls nicht, fasse ich kurz für Sie zusammen: Mit Blick auf die jüngsten Terroranschläge in Paris meinte Höcke, Deutschland und Europa fehle es an Männlichkeit, und darum fehle es auch an Wehrhaftigkeit. Und am Männertag geht es um Jungen- und Männergesundheit, Diskriminierungserfahrungen, Gleichberechtigung und ganz allgemein um das Feiern der positiven Beiträge, mit denen Männer die Gesellschaft bereichern.

Gegen die Ausführungen von Höcke spricht eine ganze Menge. Hier nutzt ein Politiker die Ungunst der Stunde, um das konkrete Bedrohungsempfinden von Menschen in politischen Zuspruch umzumünzen. Was die tatsächlichen Gründe für die gegenwärtige Lage sind und wie man Wählerinnen und Wähler in den mühsamen Prozess von notwendiger Differenzierungsarbeit einzubinden vermag, könnte ihm dabei nicht egaler sein. Wehrhaftigkeit hat ein Geschlecht, und die böse Gender-Mainstreaming-Fraktion schwächt eben dieses Geschlecht. Die politische Kundgebung als Märchenstunde.

364 Tage im Jahr

Gegen einen Internationalen Männertag sollte hingegen nichts sprechen. Allerdings haben einige Menschen auch damit ein Problem. Das zeitgleich der Welttoilettentag begangen wird, hat damit nichts zu tun. Das gibt zwar reichlich Anlass zu Scherzen und Spötteleien, ist aber darüber hinaus nicht weiter relevant.

Woran man sich tatsächlich stören kann, ist der Eindruck, dass hier extra ein Tag anberaumt wird, um auf die Probleme einer ausgesprochen privilegierten Gruppe aufmerksam zu machen. Ist es nicht Teil ebenjener Privilegien, dass es nicht nur an diesem einen, sondern auch an allen anderen Tagen im Jahr um die Befindlichkeiten und Bedürfnisse dieser Gruppe geht? Sind die anderen 364 Tage im Jahr nicht prinzipiell auch Männertage mit Aufmerksamkeit für Männerthemen? Mit solchen und ähnlichen Fragen sieht sich ein spezieller Männertag konfrontiert.

Und zwar nicht etwa, weil Männer keine realen Probleme hätten, die angegangen und behoben werden müssten, sondern weil die Probleme, mit denen sich Frauen konfrontiert sehen, wieder und wieder kleingeredet, lächerlich gemacht und in Abrede gestellt werden. Während Männer sich andere männliche Vorbilder außer Sportler und Filmstars wünschen, stehen potenzielle weibliche Vorbilder vor den Tatsachen, dass sie als Sportlerinnen ständig ungefragt sexualisiert und auf ihren Körper reduziert werden und als Filmstars ab einem bestimmten Alter kaum noch Rollen angeboten bekommen und zudem noch deutlich schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen.

(K)eine Frage des Geschlechts

Wer die Probleme, mit denen Frauen Tag für Tag zu kämpfen haben, ins Lächerliche zieht, der gibt seine eigenen Probleme der Lächerlichkeit preis. Wer sich ständig in gesellschaftspolitischen Debatten, in denen es um frauenspezifische Themen geht, mit dem "Hinweis" darauf drängt, was denn jetzt eigentlich mit den Männern sei, der trägt zugleich dafür Verantwortung, dass niemand mehr hinhören will, wenn tatsächlich mal Männerproblematiken adressiert werden sollten.

Und davon gibt es mehr als genug: Der überwiegende Teil von Suiziden in Europa wird von Männern begangen. In Großbritannien ist die häufigste Todesursache bei Männern unter 45 Jahren die, dass sie Selbstmord begehen. Männern fehlen immer noch Möglichkeiten und Räume, um beispielsweise über ihren Umgang mit Krankheit, Schwäche, Scheitern und Verlust zu sprechen. Über Gewalterfahrungen. Über Depressionen. Männer feiern sich dafür, dass sie sich unbesiegbar wähnen, stattlich statt adipös genannt werden, selten bis nie zum Arzt gehen und sich grundsätzlich alles zutrauen.

Eine Frage des Zugangs

Nur sind gerade diese Konzepte von Männlichkeit mit dafür verantwortlich, dass sie ungesünder leben, mehr unnötige Risiken eingehen und durchschnittlich früher als Frauen sterben. Falls Sie also finden, dass der Internationale Männertag eine gute Gelegenheit ist, um solche und andere Problematiken zu thematisieren, sich für Gleichberechtigung auszusprechen und verantwortungsvolles Handeln zu feiern bzw. sich dafür feiern zu lassen, ohne damit die Probleme anderer Menschen zu negieren, dann sollten Sie diesen Tag unbedingt begehen.

Sollten Sie aber zu denen gehören, die anlässlich dieses Tages eine Debatte über männliche Suizide im Parlament fordern und zugleich Gegnerinnen Ihrer Auffassung mit Vergewaltigung, Folter und Mord bedrohen, dann brauchen Sie den 19. November nicht. Dann ist Internationaler Männertag wie jeder andere Tag auch. Nur mit Welttoilettentag obendrauf. (Nils Pickert, 24.11.2015)