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Billie Holiday suchte Trost in der Fremde: hier in der Hamburger Ernst-Merck-Halle, aufgenommen 1954 aus Anlass einer Europatournee.

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Sona MacDonald als Billie Holiday in den Kammerspielen des Wiener Josefstadt-Theaters.

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Regisseur Torsten Fischer reflektiert das Leben der Diva.

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Ein kleiner alphabetischer Leitfaden durch ein Leben voller Jazz-Wunder und Gewalt.

April: Am 7. April vor hundert Jahren wurde die wahrscheinlich größte Jazzsängerin aller Zeiten geboren. Billie Holiday (1915–1959) hieß mit bürgerlichem Namen Eleanora Fagan. Ihre Mutter war gerade einmal 13 Jahre, als sie mit Billie niederkam. Zumindest schrieb das die Tochter in ihren Memoiren. Der Vater muss ein leidlich guter Gitarrist gewesen sein, denn er spielte
eine Zeitlang in der Band des berühmten Fletcher Henderson.

Blues: Lady sings the Blues heißen die Lebenserinnerungen, die Holiday in den 1950er-Jahren einem Reporter in den Block diktierte.

Day: Was man über "Lady Day" – so ihr Spitzname – heute zu wissen meint, stammt aus besagtem Machwerk. Kaum ein Wort dar in ist wahr. Erzählt wird hauptsächlich, wie man eine hypersensible Gesangskünstlerin systematisch zugrunde gerichtet hat. Die Ingredienzien sind rasch aufgezählt: Rassismus, Alkohol und Drogen. Holidays legendär schlechtes Händchen für Männer tat ein Übriges. Die Frau wurde missbraucht und ausgenutzt, anschließend durch die Mangel der US-Justiz gedreht. Ein Wunder, dass Holiday überhaupt Gelegenheit fand, Platten aufzunehmen und zahllose Konzerte zu geben.

Himmel und Hölle: "Himmel und Hölle" hieß Billies Leib- und Magengetränk. Das Gesöff bestand jeweils zur Hälfte aus Portwein und Gin. Am liebsten genoss Holiday es in Gesellschaft ihres liebsten Musikerkollegen, des Saxofonisten Lester Young (1909–1959), genannt "Prez". Lester Young spielte nicht nur lange Zeit in der Big Band von Count Basie. Er leistete für sein Instrument das, was Billie Holiday allein mit der Kraft ihrer Stimme zuwege brachte. Der Grundton war lyrisch, sein Saxofon schien mit einem Zwiesprache zu halten wie ein gutmütiger, melancholisch gestimmter Freund.

Kammerspiele: Am Donnerstag zeigen die Wiener Kammerspiele unter dem Titel Blue Moon eine Hommage an Billie Holiday (Regie: Torsten Fischer). Sona MacDonald wird nicht weniger als 20 Holiday-Titel singen, dar unter Jahrhundertnummern wie Body and Soul, Mean to Me und natürlich Strange Fruit.

Kloster: Ihre Kindheit verbrachte Holiday großteils in Baltimore bei Verwandten. Nach einem Vergewaltigungsversuch durch einen Nachbarn landete Billie in einem katholischen Erziehungsheim, zu ihrem eigenen Besten, wie ihr versichert wurde. Tatsächlich kam das aufgeweckte Mädchen rasch mit Bordellen in Berührung. In einem solchen Etablissement will sie auch das erste Mal auf
ein Grammofon gestoßen sein. Hin gegeben lauschte sie Louis Armstrong und Bessie Smith.

Männer: Sich selbst inszenierte "Lady Day" meist als Kumpeltyp. Niemals hätte sie zugegeben, dass sie von Männern vor allem ausgenützt wurde. Ihr Gesang bildet die Ambivalenz des daraus entstehenden Gewaltverhältnisses formvollendet ab. Ihr Organ, keineswegs voluminös, verfällt sogar dann in ein Frohlocken, wenn Billie die Niedertracht ihrer Kavaliere besingt: "I don’t know why I should / He isn’t good, he isn’t true / He beats me too / What can I do?", heißt es dazu in It’s my Man. Trotzdem erfüllt so etwas wie Genugtuung den Vortrag. Die bezwingende Erotik erwächst durch die Hingabe.

Mimikry: Wie bildet man die Widersprüchlichkeit einer solchen Persönlichkeit ab? Regisseur Fischer stellt fest: "Billie Holiday ist nicht zu kopieren. Die Arbeit mit Sona MacDonald ist eine Reise an der Oberfläche der Lebensgeschichte Billie Holidays, sensationslüstern zitiert durch Zeitzeugen, ergänzt durch ihre eigene, oft beschönigende Fantasie." Co-Autor Herbert Schäfer und Fischer nennen die Rolle daher auch nicht Billie Holiday, sondern "sie", und ihn, ihren Chronisten, "er" (gespielt von Nikolaus Okonkwo).

Rassismus: Mit den Big Bands von Count Basie und Artie Shaw unternahm Holiday während der 1930er-Jahre ausgedehnte Konzertreisen, die sie auch in den Süden der Vereinigten Staaten führten. Oft genug musste sie als Star des Abends die Bühne durch den Hintereingang betreten, Pausen im Tourbus verbringen. Eines schönen Abends fand ein Veranstalter ihre Gesichtsfarbe zu "hell", und Holiday rieb sich Fettcreme ins Antlitz, um klischeegemäß "nachzudunkeln".

Strange Fruit: Der Text ihres berühmtesten Liedes stammt von dem Poeten Lewis Allen und handelt von den schwarzen Lynch opfern, die, vom Südwind bewegt, als "seltsame Früchte" an den Ästen der Pappeln schaukeln. Man kann Billie Holidays Versicherungen trauen, dass der Vortrag dieses gespenstischen Songs sie jedes Mal an ihre psychischen Grenzen führte. Doch auch einfache Tin-Pan-Alley-Lieder, begleitet von den Größen des Swing (Roy Eldridge, Benny Carter, Teddy Wilson), wurden durch Billies Kraft der Aneignung zu erhabenen Arien des Schmerzes.

Synkopen: Das Geheimnis von Holidays Kunst liegt in der kaum merklichen Verschiebung von Betonungen. Regisseur Fischer nennt sie "Synkopen des Herzschlags". Holidays Waffen seien ihr Geist ("wit"), ihr Sarkasmus und ihre Intuition gewesen.

Tod: In ihren letzten Lebensjahren verblühte Billie Holidays Stimme, nahm dabei an Ausdruckskraft aber eher noch zu. Als sie 1959 an Leberzirrhose litt, wurde sie ins Metropolitan Hospital eingeliefert. Als sie starb, umstanden Ordnungshüter ihr Bett, um sie wegen Drogenbesitzes zu verhaften. (Ronald Pohl, 24.11.2015)