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Sozialminister Rudolf Hundstorfer übt das Jonglieren mit europa- und weltpolitischen Fragen.

Foto: apa/Pfarrhofer

Brüssel – Rudolf Hundstorfer war am 7. Dezember vielleicht zum letzten Mal nach Brüssel gereist, um an einem EU-Ministerrat teilzunehmen. Seit genau sieben Jahren Sozialminister, gilt er als der heißeste Kandidat der SPÖ für die Bundespräsidentenwahlen im Mai, sollte diese einen eigenen Kandidaten aufstellen. Als er gegen Mittag zu einem Gespräch mit Journalisten über die Verhandlungen mit seinen Kollegen spricht, lässt er sich diesbezüglich nicht aus der Reserve locken: "Ich gehe davon aus, dass ich Ihnen diese Frage im Jänner oder Februar beantworten kann", sagt er auf die Frage nach seiner möglichen Kandidatur. Und lacht dazu demonstrativ.

Es sieht also nicht so aus, als wäre er dem höchsten Amt im Staat abgeneigt. Und auffallend an den Ausführungen Hundstorfers ist dann auch, wie "präsidentiell" er von "seinem" Sozialministertreffen erzählt. "Ich habe eine gewisse Sorge um die EU", stellt er – ungefragt – fest. Nach einem Gespräch mit seiner französischen Amtskollegin gebe es Anlass dazu: "Wenn der Front National bei Regionalwahlen etwas zusammenbringt, hat das Auswirkungen, vielleicht nicht ad hoc, aber langfristig, nicht nur beim Flüchtlingsthema".

"Ein gewisses Abdriften"

Hundstorfer bereitet es Kopfzerbrechen, "wie die EU-Staaten in Summe mit der Flüchtlingsproblematik umgehen". Er erwähnt, dass die neue polnische Regierung im Rat gerade "nicht durch ein vollwertiges Mitglied der Regierung, einen Minister, vertreten war". Es gebe "ein gewissen Abdriften" von Europa, stellt der in seiner Wortwahl in der Regel übervorsichtige Sozialminister fest. Wenige Stunden davor war die Regierung in Lettland zurückgetreten, "der Minister hat in der Sitzung erfahren, dass er nicht mehr Minister ist", erzählt Hundsdorfer. Später wird der Sozialminister hervorheben, dass die Slowakei, oder Tschechien, nicht bereit sind, sich an einer gemeinsamen Aufnahme von Flüchtlingen zu beteiligen.

Der Rechtsruck in der Union, die Abkehr einzelner Staaten vom "Aufteilungsschlüssel" bei Flüchtlingen treibt ihn um, denn "es kann nicht sein, dass sieben Länder sagen, sie machen etwas, und der Rest sagt, wir machen nichts". Damit ist Hundstorfer bei der Initiative von Bundeskanzler Werner Faymann, der (bisher) die Regierungschefs von sieben EU-Kernstaaten (neben Österreich noch Deutschland, die drei Benelux-Staaten, Finnland und Schweden) sowie Griechenland und die Türkei zu einem Flüchtlingssondergipfel am 17. Dezember in die österreichische Vertretung in Brüssel eingeladen hat.

Mindeststandards klären

Es gelte jetzt zu klären, was "Mindeststandards" sind, bei den Einkommen wie bei der Mindestversorgung, einer Frage, die tief hineinreiche in die Asyl- und Migrationspolitik. Der Sozialminister holt weiter aus: "Was mich erschüttert ist, dass das bei 500 Millionen Einwohnern in der EU dazu führt, dass man wieder Zäune baut".

Er spricht sich deutlich dafür aus, dass jene Länder, die mehr Wohlstand haben als andere, "einen größeren Beitrag leisten" bei der Aufnahme von Migranten, "das lässt sich aber nur darstellen, wenn andere überhaupt etwas leisten". Es "hört sich auf, wenn manche sagen, ich mache null", sagt der Sozialminister, denn "auch bei uns gibt es Armut". Es gelte also, "eine Balance zu finden" auf der europäischen Ebene, und Hundstorfer hofft, dass beim Treffen am 17. Dezember etwas weitergeht, man unter den lösungswilligen Staaten eine gemeinsame Strategie finde".

Abkommen mit Türkei beleben

Der Noch-Nicht-Präsidentschaftskandidat zeigt sich aber auch durchaus optimistisch, dass "ein vernünftiger Kompromiss möglich ist". Es müsse gelingen, das entsprechende Abkommen mit der Türkei jetzt zu beleben. 2016 sei eine Chance, weil die Wahlen in Frankreich und Deutschland erst ein Jahr später, 2017, stattfinden werden. Zudem könnte es gelingen, in Syrien einen Frieden zu vermitteln, so komplex und schwierig die weltpolitische Lage auch sei. Aber "immerhin gibt es jetzt ein anderes Engagement der USA und von Russland" als in den vergangenen Jahren. Der Minister: "Es entwickelt sich etwas in die richtige Richtung."

Das sieht er auch auf seinem eigentlichen Fachgebiet, der Arbeits- und Sozialpolitik. Zunächst einmal habe man jetzt für anerkannte Asylwerber "das freiwillige Integrationsjahr eingeführt". Ab 1. Jänner können 17-Jährige anerkannte Asylwerber nach dem Vorbild des freiwilligen sozialen Jahres bei Hilfsorganisationen arbeiten. Sie sind sozial- und krankenversichert, haben Kost und Logis. 1000 Leute könnten unterkommen.

Keinen Zugang zum Arbeitsmarkt

Hundstorfer erwartet davon einen Beitrag zur Integration dieser Jungen, die später in den Arbeitsmarkt gehen. Eine Ausweitung der Zulassung zum Arbeitsmarkt über die bisherigen Sektoren hinaus – bei Kommunen, Gemeinnützigen, Saisonarbeitern, Mangelberufen – sieht er nicht. Er verweist aber darauf, dass es "bei Köchen und Kellnern den größten Mangel gibt". Im Dialog der Sozialpartner könnte es dazu bald neue Lösungen geben.

Für entscheidend hält der Sozialminister, dass die Sozialverträglichkeit beim Flüchtlingsthema gelingt, indem die Bevölkerung erkennt, "hallo, da geschieht was, dann ist das darstellbar", erklärt Hundstorfer. Es sei zum Beispiel wichtig darauf zu verweisen, dass die Hilfen für Flüchtlinge "den österreichischen Arbeitslosen nicht einen Euro wegnimmt", denn man habe Zusatzfinanzierung geschaffen, das sei "in der Koalition überhaupt kein Thema".

"Das Netz wird immer enger"

Das Ganze schaffe sogar "neue Arbeitsplätze, schauen Sie sich doch die Personalstände bei Rotem Kreuz, ASB oder Caritas an". Aber der Sozialminister ist auch bald wieder bei übergreifenden europäischen Fragen: Es sei so, dass die illegale Wanderung von Migranten zurückgehe, "die Registrierung immer mehr gestärkt wird, das Netz wird immer enger". Das findet er auch gut so, es müsse dazu kommen, dass die "Hotspots" an den EU-Außengrenzen funktionieren, es könne nicht sein, dass man sich auf die Speicherung von Flugpassagierdaten einigt, aber auch dem Landweg könne man unbehelligt hin- und her wandern. Das und noch viel mehr an Maßnahmen müsse jetzt geregelt werden, sagt der Sozialminister, "es sind gerade viele Bälle in der Luft". Hundstorfer klingt dabei, als übe er gerade intensiv das Jonglieren mit europa- und weltpolitischen Fragen – ganz präsidentiell. (Thomas Mayer, 7.12.2015)