Berg in der Burg: Mit der Minikamera untersucht eine neurotische Sabine Haupt ihr Innen- und Außen.

Foto: HANS KLAUS TECHT

Wien – Trotz Selbstoptimierung, Apps und Giga/Nano/Techno ist der Mensch kaputt. Krieg, Kapitalismus, Ausländerhass, Arbeitslosigkeit, Sexismus, Ungleichberechtigung, Bio-Wahn ... braucht's noch mehr? Es gäbe genug! Deshalb schreibt Sibylle Berg ihm seit bald 20 Jahren Gebrauchsanweisungen für sich und das Leben.

Was in der Spiegel-Kolumne Fragen Sie Frau Sibylle als wöchentliche Peu-à-peu-Polemik daherkommt, kann das defekte Volk im Burgtheater-Vestibül aktuell geballt in einer österreichischen Erstaufführung erleben. Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen heißt die 2014 von Theater heute zum besten deutschsprachigen Stück gekürte Ein-Frau-Show.

Mit der antiken Prophetin hat die schmalgesichtige Rothaarige dabei nicht nur den Namen gemein, auch lebt Berg nicht nur am liebsten nahe Felsspalten (Schweiz) und kommt eigentlich aus dem Osten (DDR), sie ist auch eine Mahnerin. Eine der gesellschaftlichen Endzeit. In Es sagt mir nichts… entwirft sie zu jenem Zweck eine namenlose Single-Mittdreißigerin.

Humantipathie und Einsamkeit

In der silberglänzend-rosa Aufmachung einer Zirkusunterhalterin (Kostüm: Moana Stemberger) tritt the one and (l)onely Sabine Haupt auf. Körperliche Gewalt hat sie schon ausprobiert, als sie ihre "Aggression gegen unsichtbare Gegner noch an Opfern abreagierte". Jetzt drückt sie ihre Humantipathie und Selbsthass, Versagensangst und unerfüllten Sehnsüchte (Was, wenn alles so schlecht bleibt, wie es ist?) mit Worten aus. Mehr gilt ihr dabei auch mehr: Sie quasselt – aus Not, um die Stille zu vertreiben, in der sich ihre Einsamkeit (die gleichermaßen beschädigten Mitbewohnerinnen sind nur virtuell zugegen) sonst manifestiert.

Der vernetzten, gehetzten Welt hat die Desillusionierte ("Meine Entscheidungsgewalt beschränkt sich darauf, relevante Konsumentscheidungen zu treffen") nämlich den Rücken gekehrt. Wie soll man sich zu jener angesichts all ihrer Verwirrungen, Forderungen und Zumutungen auch sonst verhalten? Shopping? Zumba? Hilft alles nix gegen verlogene Euphemismen, Political Correctness, Ironie (als Schutzschild), schlechten Sex und Gender. Ein Blumengarten auf dem Land? Auch nicht. Stattdessen pflegt sie in Stadt und Prekariat ihre Neurosen.

Der projizierte Ekel

Und sie untersucht den eigenen Körper mit der Kamera – bzw. führt ihn aus Protesthaltung vor: Seine Unreinheiten, Nasenhaare und Zungenbelag. In packend hochauflösenden Bildern werden die ekeltauglichen Schönheitsfauxpas auf einer Scheibe oben rechts (Bühne: Jura Gröschl) projiziert, abwechselnd mit poppigen Illustrationen ihrer Gefühle: Ich verachte euch und ihr seid mir egal – aber nehmt mich dabei wahr! Der Mensch ist ein widersprüchliches Wesen. Deshalb kann man auch so viele Worte um ihn machen, wie Berg es tut.

Rasant geht es zu. Als hätte sie den Überblick, dreht und wendet sie bzw. Haupt die Welt im Mund, was die Sprachscharniere hergeben. Da wirkt schon beim Lesen manchmal etwas erzwungen und über's Ziel hinaus geschossen. Nur so lässt sich halt die gesamte gesellschaftskritische Checklist von Generation Praktikum über Kinderarbeit bis hin zu Blowjob-Sexliteratur abhaken.

Nah am Overkill

Es ist eine formidable Leistung Haupts, diese 90 Monolog-Minuten zu stemmen: manisch, panisch, höchst überdrüssig-zeitgenössisch. Immer nah dran am Nervenzusammenbruch. Der damit oft einhergehende (inszenatorische) Overkill ist nun mal – manchmal besser zu genießen, manchmal ästhetisch und inhaltlich schwerer verdaulich – das Prinzip hinter Bergs Schreiben: als zynischer Zerrspiegel einer Welt, in der meist die anderen die Schlechten sind. Man selbst aber immer doch auch ein bisschen zu denen gehört. Oder gehören könnte.

In der Inszenierung von Martina Gredler (Regie) wäre vielleicht zuweilen mehr Konzentration statt Show möglich und dienlich gewesen, aber auch so trifft der Abend viele wunde Punkte. (Michael Wurmitzer, 8.12.2015)