Eine Art Tap-Dance gibt es auch im Ballett: Eno Peci als Mama Simone und vier lustige Bauernmädchen beim Holzschuhtanz.

Foto: Wiener Staatsballett

Wien – Zwei Wochen nach der Uraufführung dieses Balletts in Bordeaux wurde am 14. Juli 1789 in Paris die Bastille gestürmt. Für Kaiserin Maria Theresias Tochter Marie Antoinette, damals 33 und Königin von Frankreich, war das der Anfang vom Ende.

Im Gegensatz dazu stand der jungen Bauerntochter Lise in Le Ballet de la paille, ou il n'est qu'un pas, du mal au bien, wenig später umbenannt zu La Fille mal gardée, ein langes Leben bevor. Den Grund dafür zeigt das Wiener Staatsballett gerade in seinem Stammhaus an der Ringstraße. Als die listige Lise, die ihre Mama Simone so lange austrickst, bis sie ihren Schwarm Colas ehelichen darf, 1794 erstmals auf den Brettern des Wiener k. k. Hoftheaters tanzte, war Marie Antoinette bereits tot. Dabei wär's eine so gute Partie gewesen: Das minderjährige Wiener Kaisertöchterl war mit 14 Lenzen schon Gemahlin des späteren Königs Ludwig XVI., Traumhochzeit inklusive. Doch am Ende stand das buchstäblich enttäuschende Schafott.

Auch die nicht gerade arme Witwe Simone möchte ihre Lise gewinnbringend verehelichen – mit Alain, dem Sohn eines Weingutbesitzers. Aber Lises Hormonhaushalt tanzt dazwischen. Wie diese Tochter ihren Kopf bewahrt, zeigt in Wien Maria Yakovleva (29), die gerade La Fille mal gardée in der Choreografie des vielgerühmten Frederick Ashton (1904-1988) verkörpert hat: mit Überzeugung, Witz und Verve. Die gebürtige St. Petersburgerin tanzt diese Rolle seit mehr als acht Jahren und ist in ihr sichtbar gewachsen.

Den Colas gab 1986, als Ashtons Interpretation erstmals in Wien zu sehen war, übrigens Gyula Harangozó, der Maria Yakovleva 2005 als nachmaliger Ballettdirektor und Vorgänger von Manuel Legris für die Staatsoper engagierte. Als Yakovleva nur zwei Jahre später als Lise debütierte, war Wolfgang Grascher die Frau Mama, und das nicht schlecht. Jetzt ist Eno Peci in dieser queeren, komödiantischen Rolle, die sich leider gegen Ende choreografisch abnutzt, ein Hit.

Protzige Autorität

Simone repräsentiert eine Helikoptermutter ihrer Zeit. Eine Glucke, die im Ballettstück als Karikatur eines traditionell misogynen Unterdrückungssystems angelegt ist. Aber auch der mamaseits favorisierte Heiratskandidat Alain steht unter einer Fuchtel: der seines Vaters, dessen protzige Autorität den armen Tropf patschert und uncool macht.

Der Jungbauer Colas hingegen, in der Vorstellung am vergangenen Montag getanzt von Mihail Sosnovschi, hat im Stück keine Eltern. Damit erscheint er als unabhängig. Sosnovschi ist der richtige Typ dafür und zeigt eine tadellose Technik. Aber er wirkt ein bisserl zu angestrengt, um die Lässigkeit des Charakters optimal zur Geltung zu bringen.

Wer noch nie im Ballett gewesen ist, kann mit La Fille mal gardée mühelos einsteigen. Ashton hat sich seinerzeit – die Premiere fand 1960 in London statt – bemüht, eine unprätentiöse, detailreiche und echt jugendfreie Arbeit hinzulegen. Seine Interpretation ist weder "modern" noch "historisch", sondern ein Spiel mit der Aura des Zeitlosen, vergleichbar mit dem Märchen in der Literatur. Eine etwas andere Auffassung des Stücks präsentierte etwa der Schweizer Heinz Spoerli 1981 in Paris. Auch seine Inszenierung sieht konservativ aus, enthält aber Bezüge zur Revolutionszeit ab 1789, die bei Ashton bedauerlicherweise komplett fehlen.

An einer Rekonstruktion des Originals von Jean Dauberval hat sich übrigens vor mehr als zwanzig Jahren in Mulhouse das Ballet du Rhin unter Ivo Cramér versucht. Bei Ashton kommt die von John Lanchbery bearbeitete Musik von Ferdinand Hérold jedenfalls immer noch gut an. Dafür sorgt jetzt das Orchester der Wiener Staatsoper unter Paul Connelly. (Helmut Ploebst, 29.12.2015)