Martin Leutgeb als Bürgermeister Konrad Steißhäuptl in "Der Himbeerpflücker".

Foto: Lalo Lucia Jodlbauer

St. Pölten – In Bad Brauning sprechen einander die Platzhirsche des Dorfes noch mit "Herr Oberstleutnant" an und grüßen mit "Heil, die Herrn". Zeit: Gegenwart. So steht es im Stück von Fritz Hochwälder (1911-1986). Der aus dem Schweizer Exil nie mehr zurückgekehrte österreichische Dramatiker, heute selten gespielt, schrieb die Komödie Der Himbeerpflücker 1965.

Entlang einer haarsträubend komischen Geschichte schildert Hochwälder darin, wie sich die Altnazis des genannten, fiktiven Dorfes ein neues Leben in alter Gesinnung eingerichtet haben und wie unangenehm es für sie wird, wenn da die Vergangenheit noch einmal an die Tür klopft.

Der Himbeerpflücker, einst mit Helmut Qualtinger verfilmt, hatte am vergangenen Freitag am Landestheater Niederösterreich Premiere in einer fabelhaften Inszenierung von Cilli Drexel. Die Regisseurin schafft es nach Arthur Millers Hexenjagd (2013/14) hiermit erneut, einen klassischen Erzählstoff aus seiner geschichtlichen Verankerung zu heben und ihm Leichtigkeit wie Antrieb zu geben. Sie hat Hochwälders Komödie klug gekürzt und um die allerschwersten Zaunpfahl-Winke erleichtert.

Der Oberplatzhirsch, Bürgermeister Konrad Steißhäuptl, sieht sich in Bedrängnis, da er zu Kriegsende zwei Kisten Zahngold eingestreift und damit sein Wirtshaus samt Kino hochgerüstet hat. Überantwortet hat ihm diese damals der sogenannte Himbeerpflücker, ein Scharfschütze, genauer: Massenmörder, der nun wie der Revisor bei Gogol vor der Tür steht. Martin Leutgeb, ein Kraftwerk von Schauspieler mit furchterregender Präsenz und Bestimmtheit, legt den Steißhäuptl zwischen Mao und Moshammer an, ein Diktator im feinen Tuch, der sogar seine eigene Tochter (Lisa Weidenmüller) aufs Spiel setzt, um die Sache weiter zu vertuschen. Er treibt den Slapstick in erschreckende Kippmomente.

Scharfe Figurenzeichnungen sind der große Gewinn dieses Abends, der u. a. mittels Videobotschaften vom Stammtisch und dynamischer Dramaturgie (Matthias Asboth) den gewissenlosen Opportunismus ins Visier nimmt: Raimund Wallisch als geschmeidig-elegantes Hausfaktotum Zagl, Reinhold G. Moritz im bauchfreien Spaßhemd als vermeintlicher Himbeerpflücker, Tobias Voigt, Michael Scherff und Helmut Wiesinger als brutal-verkappte Altnazis. Die einzige, die hier noch ein Gewissen hat, aber leider kein Mandat, ist die Köchin Burgerl (Magdalena Helmig). (Margarete Affenzeller, 18.1.2016)