Luise Kinseher sagt ihrer Zeit den Kampf an.

Anja Wechsler

Wien – Sie hat gestern im Hotel einen Mann kennengelernt. Einen, der gern lacht, ohne versoffen zu sein. Ein paar Sekunden im Lift, und sie war sich sicher: Das ist er. Das spürt man. Was er wohl von Beruf ist? Künstler? Zu gut angezogen. Galerist wahrscheinlich. "Bis bald", hat er gesagt, der Galerist mit dem Dreitagesbart. Und jetzt? Ruft er nicht an! Der Depp! Zu allem Überdruss muss sie nun auch noch auf die Bühne. Leute unterhalten, die Welt erklären. Pf! Da heißt es jetzt Ruhe bewahren!

Die bayerische Kabarettistin Luise Kinseher gab am Samstag im Stadtsaal ihre umjubelte Wien-Premiere. Mit ihrem sechsten Soloprogramm steht sie seit 2014 auf der Bühne, im selben Jahr erhielt Kinseher auch den Bayerischen Kabarettpreis. In Wien präsentierte sich die 47-Jährige in Hochform, unterstrich einmal mehr, dass sie zu den besten ihres Fachs zählt.

Ruhe bewahren! ist ein rundes, dramaturgisch ausgefeiltes Stück über die Zeit. Über das Warten und Nichtwartenkönnen, über den technologischen Wahnsinn, das gesellschaftlich verordnete Wellnessgebot und nicht zuletzt die Liebe. Hierzu präsentiert Kinseher drei Bühnenfiguren, die man dem Motiv der "drei Lebensalter" aus der bildenden Kunst zuordnen kann: Den größten Teil des Kabaretts bestreitet Kinseher als sie selbst in der Blüte des Lebens, wartend auf den Anruf des unbekannten Bekannten.

Die Sterbeprognose vor Augen

Verträumt am Tischerl sitzend, dank Smartwatch die eigene Sterbeprognose vor Augen, hält sie ein Plädoyer fürs Ergreifen des Augenblicks. Gesteht aber ein, dass der "meist schon vorbei ist, bis er im Hirn ankommt". Das sei eben wie bei den Bankern der Finanzkrise: Denn so einem Millionentransfer im Millisekundentakt muss man evolutionär erst einmal gewachsen sein.

Stets im richtigen Tempo bleibend, spannt Kinseher dann auch als lallende, reifere Dame im Bademantel einen Bogen: Da kommt sie von der bayerischen Innenpolitik bis zum Quantenquark und Wurmloch. Statt Mittagsschlaf gibt's Powernap, und das Stammstüberl ist jetzt eine Lounge. Vom schleichenden Kulturverfall hat schließlich auch die preußelnde Pensionistin zu berichten. Da hat sich dank Alzheimer nur der liebe Gatte zum Guten verändert.

Beeindruckend vor allem, wie Kinseher ihre Witzchen mit dem Publikum durchzieht, wie sie immer wieder auf den Lehrer, den ITler und die Kampfsportlerin in der ersten Reihe zurückkommt. Bissig und doch entspannt bereitet Luise Kinseher einen Abend, an dem man gern die Zeit vergisst – zumindest bis das Handy klingelt. (Stefan Weiss, 8.2.2016)