Nick (Moskin, li.) arrangiert sich mit seinen Kidnappern (Smulik, Wurawa, Rodriguez-Yanez), bis die Lage zu kippen beginnt.

Foto: Thomas Schluet

Wien – Eine kleine Zelle. Heruntergekommen, bis auf eine Pritsche und einen Tisch fast leer. Über ihre Rückwand zieht sich ein Blutspritzer. Hier wird nicht gespaßt. Hundegebell, Grillenzirpen und wahlweise Kampflärm dringen durch ein vergittertes Fenster von draußen herein. Draußen, das ist Pakistan, und hier drin wird ein Banker der New Yorker Citibank festgehalten.

In der Wirtschaftstheorie Adam Smiths beschreibt die "unsichtbare Hand" die Selbstregulierung eines Marktes durch die Eigeninteressen seiner Teilnehmer. In seinem gleichnamigen Stück The Invisible Hand erweitert der pakistanisch-amerikanische Autor und Pulitzerpreisträger Ayad Akhtar diese Metapher auf die labile politische Situation – innerhalb sowie zwischen Westen und mittlerem Osten.

Im Kampf einer militant islamistischen Gruppe gegen den kriegführenden Westen soll Nick (Dave Moskin) als Faustpfand dienen oder sterben. Bis er seinem Kidnapper, einem lokalen Imam (David Wurawa), vorführt, wie viel mehr er ihnen lebend mit Termingeschäften einbringen kann, um ihren anderen Kampf zu finanzieren – den sie gegen das korrupte eigene Land führen.

Zocken auf den Märkten

Seinem jungen Bewacher Dar (David Rodriguez-Yanez) hat der Gefangene das Investieren in Kartoffel bereits beigebracht. Jetzt zocken Nick und der aufbrausende Bashir (Michael Smulik) gemeinsam am Laptop gegen die Märkte, konvertieren die gewonnenen Rupien in Dollar, bevor sie nichts mehr wert sind. Unruhen und bad news sind ein gutes Geschäft, wenn man sie zu nutzen weiß. Das Depot wächst.

Als Akhtar den Text 2012 schrieb, war der IS dem Westen kaum bewusst. Gerade erst hatten US-Truppen Osama bin Laden in Abbottabad getötet. Das ist der historische und politische Hintergrund. Nicht ein Gottesstaat, sondern weitaus säkularer sind die Gründe dieser Radikalen, Terror gegen ein Land (USA) zu führen, das in Bashirs Augen keine Moral mehr hat, dafür aber Drohnen, die gerade über ihm kreisen.

Jetzt, da das Vienna Theatre Project The Invisible Hand im Theater Drachengasse zeigt (Regie: Joanna Godwin-Seidl), mag der akuteste Krisenherd sich verschoben haben. Aber die Verflechtung von Kapitalismus und Hegemonialanspruch, die Akhtar beschreibt, ist nicht passé. Ebensowenig hat sich an der Manipulationsgewalt und den Tricks der Finanzwirtschaft etwas geändert. Auf engstem Raum, unterlegt von Drohmusik und dem Sound sengender Hitze, verhandeln das die vier Darsteller in realistischen Bildern. (Michael Wurmitzer, 11.2.2016)