Die Zeugnisse sollen in der Volksschule bis zur dritten Klasse künftig ohne Noten auskommen.

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Schon bisher bleiben nur 0,5 Prozent der Volksschüler sitzen.

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Wien – Sitzenbleiben in der Volksschule soll künftig der Vergangenheit angehören. So sieht es zumindest das Bildungsministerium von Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) in einem Gesetzesentwurf vor. Die Änderung passiert im Rahmen der Bildungsreform, bei der SPÖ und ÖVP auch Alternativen zu Ziffernnoten möglich machen wollen, berichtete das Ö1-"Mittagsjournal" am Mittwoch. Bisher gibt es dazu mehr als 2.000 Schulversuche.

Statt der Noten von 1 bis 5 sollen künftig alle Volksschüler verbale Leistungsbeurteilungen bis einschließlich der dritten Klasse bekommen. Wenn die Erziehungsberechtigten trotzdem Ziffernnoten wollen, können sie diese zusätzlich verlangen. Laut dem Entwurf für das Schulrechtspaket soll es "Bewertungsgespräche mit Eltern oder Erziehungsberechtigten über Lern- und Entwicklungsstand, Lernfortschritte, Leistungsstärken sowie Begabungen" geben. Am Ende jedes Semesters stehen schriftliche Semester- und Jahresbeurteilungen statt Ziffernnoten an. Die Gefahr des Sitzenbleibens entfällt. Derzeit fallen jedes Jahr rund 1.600 Kinder an den Volksschulen durch – das sind etwa 0,5 Prozent.

"Moderne Pädagogik"

"Moderne Pädagogik darf ein Wiederholen der Schulstufen in diesem Altersbereich nicht zulassen", heißt es in dem Entwurf, der dem STANDARD vorliegt. Freiwilliges Wiederholen von Schulstufen soll es nur in Ausnahmefällen geben. Der Vorschlag des SPÖ-geführten Bildungsministeriums muss erst mit der ÖVP akkordiert werden, die Verhandlungen darüber laufen.

ÖVP irritiert

Vom Entwurf irritiert zeigt sich ÖVP-Bildungssprecherin Brigitte Jank. "Wir haben uns mit dem Koalitionspartner darauf geeinigt, dass der Schulstandort autonom entscheidet, ob es statt der Ziffernnote eine alternative Leistungsbeurteilung gibt", sagt sie mit Verweis auf den Ministerratsvortrag zur Bildungsreform, in dem es tatsächlich heißt, dass die Leistungsbeurteilung an Volksschulen zum "schulautonomen Gestaltungsraum" werden soll.

"Als ÖVP ist uns das Bekenntnis zu Leistung wichtig. Eine erstmalige Beurteilung, ob die Bildungsziele erreicht sind, in der vierten Klasse ist problematisch, weil dann das letzte Volksschuljahr wiederholt werden müsste", sagt Jank.

Spiel: "Förderlich und Unterstützend"

Bildungspsychologin Christiane Spiel von der Universität Wien hält verbale Beurteilungen statt Ziffernnoten für "sehr förderlich und unterstützend". Volksschüler hätten vor dem Schuleinstieg die Eigenwahrnehmung, ganz viel zu können. Nach dem Schuleintritt werde ihnen klar, dass andere Mitschüler bestimmte Dinge besser können. "Ihr Selbstwertgefühl wird reduziert", sagt Spiel zum STANDARD. Eine differenzierte verbale Rückmeldung über das, was die Schüler gut und was sie besser machen können, ermögliche es, Selbstwertgefühl und Motivation wieder zu steigern.

Lehrperson als Maßstab

Zudem sei das Hauptproblem von Ziffernnoten, dass sie maßgeblich vom Maßstab der Lehrperson abhängen. Viele Lehrer würden ihre Schüler daran messen, wie gut die Kollegen in der Klasse sind. "Das ist weder fair noch motivierend", sagt Spiel. Motivierender sei es für Schüler, wenn sie auch daran gemessen werden, ob sie sich im Vergleich zu ihren früheren Leistungen gesteigert haben. "All das kann ich in einer Ziffernnote alleine nicht abbilden."

Gegen Sitzenbleiben

Auch, dass das Sitzenbleiben abgeschafft werden soll, begrüßt die Bildungspsychologin. "Positive Effekte beim Wiederholen einer Klasse sind sehr selten", sagt sie. Einerseits würden durch das Sitzenbleiben die sozialen Kontakte der Schüler zerstört, oft sei es aber auch nicht sinnvoll, ein ganzes Jahr zu wiederholen, wenn die Schüler nur in einem Fach Probleme hätten. Besser sei eine frühzeitige Förderung von schwachen Schülern; bei Bedarf auch durch Unterstützungspersonal wie Schulpsychologen oder Sprachlehrer.

Änderungen soll es auch an ganztägigen Schulformen geben: Dort soll das Mittagessen nicht mehr verpflichtend sein. Wer eine Ganztagsschule besucht, soll also nicht unbedingt dort auch essen müssen. Außerdem soll der Besuch einer verschränkten ganztägigen Schule nun auch als Grund gelten, den Schulsprengel ohne Zustimmung des Schulerhalters wechseln zu dürfen. (koli, 17.2.2016)