Zeugnisse mit Ziffernnoten könnten in der Volksschule bald der Vergangenheit angehören.

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Wien – Die ÖVP lehnt den Entwurf zum Schulrechtspaket von Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) ab. Das Ministerium sieht in dem Papier vor, dass Ziffernnoten bis zur dritten Klasse Volksschule abgeschafft werden, auch sitzenbleiben sollen Volksschüler nicht mehr. Dieser Vorschlag "entspricht nicht der Vereinbarung", sagte Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) am Donnerstag. Er habe "keine Ahnung", wo Heinisch-Hosek "das gelesen hat".

Im Ministerratsvortrag zur Bildungsreform vom November hatten ÖVP und SPÖ lediglich vorgesehen, dass der Schulstandort autonom entscheidet, ob es statt der Ziffernnoten alternative Leistungsbeurteilungen geben soll. Nun will Heinisch-Hosek die verbale Beurteilung zur Regel machen, nur wenn die Eltern es wünschen, soll es zusätzlich Ziffernnoten geben.

"Leseschwierigkeiten" der Ministerin

"Der Vorschlag entspricht nicht der Vereinbarung. Ich stelle mir die Frage, wo die Leseschwierigkeiten in Österreich wirklich vorhanden sind", sagte Mahrer in Richtung Heinisch-Hosek im "Ö1-Mittagsjournal". Er wolle mit dem Bildungsministerium nächste Woche den Gesetzesentwurf besprechen.

Mahrer sprach sich auch gegen das Abschaffen des Sitzenbleibens. "Ich bin der Meinung, dass man im jetzigen System eine vernünftige Leistungskomponente braucht."

Unterschiedlich bewerten Lehrer- und Elternvertreter die Pläne Heinisch-Hoseks. Die Lehrergewerkschaft fürchtet um die "Leistungsorientierung" an den Schulen. Der Vorsitzende der Pflichtschullehrer-Gewerkschaft, Paul Kimberger, hält von den Ministeriumsplänen "eigentlich nicht besonders viel". "Wenn die Abschaffung der Noten damit begründet wird, dass niemand mehr durchfallen kann in der Volksschule, dann ist das eine absolute Themenverfehlung, weil Durchfallen in der Volksschule ohnehin nicht relevant ist – das sind absolute Einzelfälle." Derzeit fallen 0,5 Prozent der Volksschüler in einem Schuljahr durch.

Keine Vergleichbarkeit

Die Möglichkeit zur verbalen Beurteilung gebe es bereits lange. Er selbst sei kein Freund davon: "Ich bin einer, der meint, dass man auf die Ziffernnote nicht verzichten soll." Die Entscheidung, ob Ziffernnote oder nicht, sollte laut Kimberger die Lehrer und Eltern an den Schulstandorten treffen. Außerdem werde man bei verbalen Beurteilungen "auch eine Standardisierung brauchen, weil sonst geht uns die Vergleichbarkeit verloren".

Den Plan, "drei Jahre im Prinzip nicht zu beurteilen", hält Kimberger für eine "absolute Schnapsidee". Damit steige der Druck auf Schüler und Lehrer in der vierten Klasse noch weiter. Außerdem verlangt der Lehrervertreter mehr Personal in Volksschulen, da die Entwicklungsunterschiede der Kinder in dieser Altersgruppe enorm seien. Es brauche zudem mehr Fördermaßnahmen schon im Kindergarten.

Wenn das Sitzenbleiben abgeschafft werde, sei aber auch zusätzliches Personal für die Förderung der schwachen Schüler notwendig, sagte Kimberger im Ö1-"Morgenjournal". "Im Sinne der Leistungsorientierung muss eine Lösung gefunden werden. Durch Zusatzangebote müssen wir die Defizite der Kinder beheben."

Pflichtschul-Elternvertreter: "Noten sind überholt"

Der Vorsitzende des Dachverbands der Pflichtschul-Elternvereine, Christian Morawek, hält eine flächendeckende verbale Beurteilung dagegen für eine "gute Idee". Eine solche erfordere "eine viel intensivere Auseinandersetzung mit dem einzelnen Schüler und den Eltern". Dass sich Eltern gerne an Noten orientieren, weil sie das selbst aus der Schule noch kennen, sei logisch. "Ich glaube aber, dass das im Sinne der Pädagogik überholt ist."

Das Durchfallen in der Volksschule wird für Morawek "hochstilisiert", da es ohnehin kaum passiere. In Einzelfällen – etwa wenn ein Kind erkrankt und deshalb viel verpasst – könne eine Wiederholung durchaus Sinn machen. Man müsse nämlich vermeiden, das sich ein Kind durch den automatischen Aufstieg überfordert fühlt. Es brauche dafür individuelle Lösungen.

Bildungspsychologin Christiane Spiel hatte am Mittwoch im STANDARD darauf hingewiesen, dass positive Effekte beim Wiederholen einer Klasse sehr selten sind. Einerseits würden durch das Sitzenbleiben die sozialen Kontakte der Schüler zerstört, oft sei es auch nicht sinnvoll, ein ganzes Jahr zu wiederholen, wenn die Schüler nur in einem Fach Probleme hätten. Auch sie fordert stattdessen mehr Unterstützungspersonal. (red, APA, 18.2.2016)