Statt Vassilakou ist neben Kogler (li.) nun Felipe (Mitte) Glawischnigs neue Stellvertreterin – und hinter den Kulissen eröffnen die Realos die ersten Debatten zur Asylkrise.

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Wien – Der Rückzug von Wiens Vize-Bürgermeisterin Maria Vassilakou von der grünen Parteispitze kam selbst für den einen oder anderen Abgeordneten überraschend. "Ich habe davon aus der Zeitung erfahren", gesteht einer. Ein anderer meint mitfühlend: "Rot-Grün II wird für sie sicher härter als Rot-Grün I."

Am Freitag, nach einer Sitzung des erweiterten Bundesparteivorstandes, war Eva Glawischnig mit ihrem bestätigten Stellvertreter Werner Kogler bemüht, dennoch Optimismus zu versprühen. Nach fast acht Jahren mit Vassilakou an ihrer anderen Seite präsentierte die Bundessprecherin zu ihrer Linken Ingrid Felipe als neue grüne Vize-Chefin.

Raues Klima

Die quirlige Tirolerin, knapp 38, Alleinerzieherin, seit 2013 als Landeshauptmann-Stellvertreterin in Tirol bekannt, erklärte wortreich, wie sie als "junge Frau aus dem wilden Westen" den Grünen bis zur nächsten Nationalratswahl strategisch behilflich sein will: Indem man zeigt, wie man "in einem rauen Klima" und "bei verkrusteten Strukturen" – gemeint waren ihre Erfahrungen mit der mächtigen Landes-ÖVP – trotzdem Veränderungen herbeiführen kann.

Dazu formulierte ihr Kollege Kogler, seit bald einem Jahr vollbeschäftigt im U-Ausschuss zum Hypo-Debakel, das ehrgeizige Ziel der grünen Parteiführung für den Urnengang 2018: "Wir sind der Überzeugung, dass 15 Prozent plus möglich sind."

Parteispitze hält trotz Kritik Kurs

Angesichts der neuen Obergrenzen der Regierung für Asylwerber erklärte Glawischnig, dass die Grünen – anders als die SPÖ – ihre Positionen in der Flüchtlingskrise halten werden, denn: "Der Rückfall in eine Renationalisierung der Politik ist für uns keine Lösung." Vielmehr gelte es "für die Einhaltung der Verfassung und der Genfer Flüchtlingskonvention" zu sorgen – quasi als Partei, "die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und gegen Hetze" auftritt.

Probleme am Arbeitsmarkt absehbar

Doch der frisch-fröhliche Eindruck täuscht. Denn längst fordern namhafte Grüne – allen voran Peter Pilz – einen Realo-Kurs angesichts des Flüchtlingsandrangs. Budgetsprecher Bruno Rossmann sagt zum STANDARD: "Ich bin gegen Obergrenzen. Aber wir müssen uns schon im Klaren sein, dass wir uns bei einer fortgesetzten Situation wie im Vorjahr Probleme einhandeln." Konkret meint Rossmann die Integration der Asylwerber in den Arbeitsmarkt, wo die Daten jetzt schon alles andere als rosig seien – "deswegen bin ich dafür, dass wir darüber eine Debatte führen".

Realitäten in den Ländern

Auch Vorarlbergs Landeschef Johannes Rauch, selbst Landesrat, gibt zu, dass die Grünen, die in den Ländern in Regierungsverantwortung sind, nicht nur bei der Quartierssuche "mit den Realitäten konfrontiert" sind. Er sagt, ebenfalls mit Sicht auf den Arbeitsmarkt, aber auch in Bezug auf die Übergriffe in Köln: "Es gibt nicht null Probleme – und die müssen wir in der richtigen Gewichtung und Tonlage auch benennen." Und Rauch warnt ganz offen: "Wenn wir die Menschen weiterhin ein halbes Jahr beschäftigungslos herumsitzen lassen, eskaliert das völlig."

Letzte Debatte abgedreht

In Wien wiederum ist Vassilakou auch angesichts der österreichweit höchsten Flüchtlingszahlen besonders gefordert. Zur Erinnerung: Im Herbst hatte sie bereits in der Asylkrise eine Debatte zu den Aufnahmekapazitäten angeregt – ist parteiintern dafür harsch zurechtgewiesen worden. Die gewünschte Diskussion wurde sofort abgedreht.

In der Wiener Landesgruppe ist zu hören, dass Vassilakou wegen ihrer neuen Aufgaben – neben Verkehr auch die Stadtplanung – in letzter Zeit immer öfter Besprechungen mit der Bundesparteispitze sausen habe lassen müssen. Glawischnig betonte jedenfalls am Freitag, dass es zwischen den beiden keinen Vertrauensverlust gegeben habe – im Gegenteil, sie danke Vassilakou für "die harten wie die guten Zeiten", die man gemeinsam durchgemacht habe.

Meinungsverschiedenheiten mit Vassilakou

Dass es zwischen Vassilakou und Glawischnig Meinungsverschiedenheiten über den Kurs der Partei gibt, ist bekannt. Vize-Bürgermeisterin Vassilakou wünscht sich mehr Realitätsbewusstsein und eine kantigere Sozialpolitik, die sich stärker an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.

Rot-Grün II in Wien schlaucht

Ein gewichtiger Grund für Vassilakous Rückzug liegt allerdings auch in der Neuauflage der Koalition mit Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ). Ob in der Flüchtlingsfrage, beim Lobautunnel oder beim Wohnbau: Die Themenführerschaft hat die SPÖ trotz ihres Wahldebakels im Oktober zurückerobert.

Zuletzt kündigte etwa Stadtrat Michael Ludwig ohne den kleinen Koalitionspartner an, die Wohnbauleistung der Stadt um fast 30 Prozent auf 13.000 Wohnungen pro Jahr zu steigern. Zuvor hatte er das Planungsressort von Vassilakou unter Druck gesetzt, doch mehr und schneller Flächen zu widmen. (David Krutzler, Michael Völker, Nina Weißensteiner, 20.2.2016)