Norbert Darabos schaut besorgt in die Zukunft seiner Partei, in der viele es verlernt hätten, darauf zu hören, was die Menschen wirklich bewegt.

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Der Ruf ausgeprägter Prinzipientreue eilt Norbert Darabos – vulgo "Bertl Bollwerk" – nicht gerade voraus. Im STANDARD-Gespräch widerspricht er dem nicht ganz, erklärt aber, warum es manchmal notwendig sei, auf neue Herausforderungen situationselastisch zu reagieren. Denn mit Marx und Engels allein ließen sich die heutigen Probleme nicht lösen. In Darabos' Eisenstädter Büro stehen im übrigens wuchtig die gesammelten Werke von Otto Bauer. Und Darabos schwört: "Ich habe alle gelesen."

STANDARD: Spätestens seit Sie die Wehrpflicht in Stein gemeißelt haben, um sie kurz darauf in einer Volksabstimmung zur Disposition zu stellen, gelten Sie, euphemistisch gesprochen, als wankelmütig. Sind Sie ein Fähnchen im Wind, wie es nicht nur außerhalb der SPÖ heißt?

Darabos: Das glaube ich nicht. Natürlich hat es einen Zuruf des Wiener Bürgermeisters gegeben, das braucht man gar nicht wegdiskutieren. Aber die Entscheidung habe ich auf Grund von Fakten getroffen, das Für und Wider abgewogen. Da habe ich mir nichts vorzuwerfen. Was ich heute vielleicht nicht mehr sagen würde, ist die Formulierung "in Stein gemeißelt". Das war vielleicht eine etwas überbordende Reaktion.

STANDARD: Manches Mal hat man den Eindruck, Sie sagen etwas, das Sie so gar nicht sagen wollten. Ihr Spitzname auch in der Partei ist Bertl Bollwerk. Hat es seit Sommer schon Situationen gegeben, wo Sie in dieser Funktion – als "Bollwerk gegen die FPÖ" – tätig werden mussten?

Darabos: Bis jetzt noch nicht. Ich habe auch das Gefühl, dass die FPÖ Burgenland nicht ideologisch ausgerichtet ist. Aber ich nehme das noch immer ernst. Wenn es irgendwo einen Ausreißer nach rechts geben sollte in der FPÖ, dann würde ich meine Stimme erheben.

STANDARD: Grenzen dicht, Flüchtlingsobergrenze, Debatten ums Ende der Personenfreizügigkeit; ab September soll im Burgenland die bürgerwehrähnliche Sicherheitspartnerschaft im Probelauf starten, der Mindestsicherung für Flüchtlinge geht es auch mit Ihrem Sanktus an den Kragen: Ist das nicht eh schon, was Ihr Koalitionspartner "restriktive Heimatpolitik" nennt?

Darabos: Ich bin in Wien aufgewachsen als ein Pendlerkind in einer 45-Quadratmeter-Wohnung mit Klo am Gang. Mich bewegt täglich die Frage: Was ist links, was ist rechts? Was ist Politik, die sich an den Bedürfnissen der Menschen bewegt? Ich hätte nicht gerne, dass sich die Sozialdemokratie in Richtung einer Unter-20-Prozent-Partei bewegt. Es ist, zugegeben, eine diffizile Frage. Die Grundsätze darf man natürlich nicht verlassen. Aber ich höre auch viel von Ängsten. Und man kann nicht aus ideologischen Gründen auf diese Ängste nicht eingehen. Es kommt mir vor, dass das in Teilen der SPÖ aber so passiert. Ich kann einfach nicht akzeptieren, dass Mindestpensionsbezieher das Gefühl haben, dass sie schlechter behandelt werden als Asylwerber.

STANDARD: Ihre Wiener Amtskollegin Wehsely hat gesagt, Sie sollten sich betreffs sozialdemokratischer Werte bei der Nase nehmen. Was Sie jetzt gesagt haben, klingt, als wollten Sie ihr raten, das selber zu tun.

Darabos: Ich erteile keine Ratschläge nach Wien. Aber ich bin täglich unterwegs bei den Menschen. Und ich habe nicht das Gefühl, dass alle sozialdemokratischen Spitzenfunktionäre das tun. Ich komme sicher aus einer eher linken Tradition und weiß, wo die Sozialdemokratie beheimatet ist. Aber das entbindet uns doch nicht davon, genau auf die Menschen, die uns wählen, zu hören.

STANDARD: Steht die SPÖ im Moment gerade vor dem Dilemma, das Ernst Jandl so trefflich besungen hat: Lechts und rinks kann man nicht velwechsern?

Darabos: Lassen Sie es mich so sagen: Wir haben Errungenschaften wie die Mindestsicherung politisch durchgesetzt, aber ich bemerke, dass das nicht erkannt wird als sozialdemokratische Verbesserung, sondern durchaus als Irritation auch für unsere Wähler. Mein Vater war Maurer. Der hat zwar ein bisserl mehr verdient, weil er im Akkord gearbeitet hat. Aber ich kenne viele, die über den Winter arbeitslos waren, die Frau nicht berufstätig. Die kriegen 1100 Euro Pension. Mindestsicherungsbezieher, auch österreichische, bekommen mehr. Das eben sorgt für Irritationen. Da muss man doch darüber auch diskutieren dürfen. Auch wenn das vielleicht gewisse Grenzen überschreitet und mit der Wiener SPÖ schwer zu diskutieren ist.

STANDARD: Warum?

Darabos: Die Wiener haben einen etwas ideologischeren Ansatz als die Burgenländer. Ab und zu kommt mir vor, sie konzentrieren sich nur noch auf den Mittelstand und nicht mehr auf die Arbeiter. Wenn man sagt, okay, wir lassen das weg, dann ist das natürlich auch eine Strategie. Aber grundsätzlich bin ich der Meinung, dass wir noch immer eine Arbeiterpartei wären.

STANDARD: Als immerhin zweimaliger Bundesgeschäftsführer haben Sie ja Einblick in den ganzen Parteibetrieb. Die Boboisierung, die Sie da konstatieren: Ist das die gesamte Wiener SPÖ?

Darabos: Es steht mir nicht zu, die Wiener SPÖ zu bewerten. Ich möchte nur eines sagen: die Wiener und die burgenländische SPÖ sind die beiden stärksten Landesparteien. Durch Rot-Grün auf der einen, Rot-Blau auf der anderen Seite sind wir zurzeit halt etwas anders positioniert. Aber auch in Wien gibt es unterschiedliche Ansätze in den innerstädtischen Bezirken und den Flächenbezirken, wo die FPÖ relativ stark angegriffen hat.

STANDARD: Sonja Wehsely steht für eine aufrechte, manche sagen: starrköpfige sozialdemokratische Haltung. Sie eher für eine Position, die man als situationselastisch bezeichnen könnte. Wer ist das Role Model für die SPÖ?

Darabos: Situationselastisch – das kommt nicht von mir, das hat mein Nachfolger im Verteidigungsministerium geprägt. Aber ja, es ändert sich halt zuweilen die politische Situation. Ein Beispiel: Wir haben 300.000 Flüchtlinge übers Burgenland gelotst, und zwar vorbildlich. Aber ein paar Monate später hat man gesehen, dass es da Ängste gibt. Auf die muss ich doch eingehen. Immer wieder kommen Leute auf mich zu und sagen, löst’s doch das Problem. So leid mir das tut: Mit Marx und Engels allein kann ich das nicht tun.

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, dass manche Genossen zu sehr an den sprachlichen Begriffen und weniger an der Sache hängen?

Darabos: Ja, das Gefühl hab ich schon. Man kann auch sagen, man vertritt hehre politische Ziele und entwickelt sich halt in Richtung einer Sekte. Aus meiner Sicht ist das der falsche Weg. Kreiskys Slogan, ein Stück des Weges gemeinsam gehen, war ja auch mit Leben erfüllt. Und da könnte man ihm ja durchaus auch was vorwerfen.

STANDARD: Situationselastizität gegenüber Nazis?

Darabos: Toleranz gegenüber der Vergangenheit gewisser Regierungsmitglieder. Ich glaube, dass es wichtig ist, ein Wertekonzept zu haben. Du musst aber bereit sein, auf die Interessen deiner Leute einzugehen. Weil sonst bewegst du dich in Richtung einer Unter-20-Prozent-Partei. Kreisky hat erkannt, dass die Öffnung notwendig ist. Das heißt nicht, dass du dich von deinen Grundwerten entfernst. Aber ohne Öffnung kannst du halt nichts davon umsetzen.

STANDARD: Bahnt sich da in der SPÖ ein Konflikt an zwischen Fundis und Realos?

Darabos: Das glaube ich nicht. Aber es ist unklar geworden wofür die Sozialdemokratie steht. Ich bin ja schon dankbar, wenn die ÖVP das Pensionspaket aufschnüren will. Auch wenn es fad klingt: die soziale Frage muss der Kern der Sozialdemokratie bleiben. Aber man muss auch signalisieren, dass wir die Ängste und die Sorgen wegen eines Abbaus des Sozialstaates ernst nehmen. Das ist kein Konflikt zwischen Realos und Fundis. Aber am Parteitag – das ist jetzt wahrscheinlich gefährlich, was ich sage – spiegelt sich in den Abstimmungsergebnissen nicht immer das reale Bild der Partei und auch der Bevölkerung wider. Da gibt es einen Überhang des linken Flügels. Wenn du aber auf die Menschen nicht hörst, werde die sagen: Okay, dann verabschieden wir uns von euch.

STANDARD: Wird das am Parteitag im Herbst auch ein Thema sein müssen?

Darabos: Ich glaube schon. (Wolfgang Weisgram, 21.2.2015)