Wenn Eva Glawischnig in den Schatten rückt, könnte ihr die neue grüne Vizeparteichefin Ingrid Felipe nachfolgen. Die Betriebswirtin und Alleinerzieherin wäre als Sprecherin greifbarer als ihre Vorgänger.

Foto: Florian Lechner

Rum – Die Suppe ist am Dampfen. "Kaspressknödel gibt's! Herbei! Herbei!", ruft Ingrid Felipe. Über den Parkplatz des Rumer Interspars zieht eine beißend-salzige Duftwolke. "Du, übrigens, gratuliere zur Reserve-Eva", kräht ein grinsender Mann mit giftgrüner Jacke, der herbeieilt und ihr auf die Schulter klopft.

Vor gut einer Woche wurde die große Tochter der Tiroler Marktgemeinde zur Vizeparteichefin der Grünen gewählt. An diesem Tag umwirbt sie in ihrer Funktion als stellvertretende Landeshauptfrau gemeinsam mit dem grünen Ortsgrüppchen ihres Heimatdorfs die einkaufende Rumer Bevölkerung. Gemeinderatswahlen stehen an. Und Felipe ist ganz und gar in ihrem Element: zuhören, plaudern, Verständnis zeigen.

Längst nicht nur Reservefrau

Dann kommt eine junge Familie in nassen Anoraks und Skischuhen vorbei. Felipe geht sofort in die Hocke und befragt die Kinder nach ihrem Tag. Ein älterer Herr beschwert sich, dass es in seinem Schrebergarten stinke wegen des Röhrenwerks nebenan. Felipe versteht ihn, natürlich, das sei ärgerlich. Sie werde das an die Luftreinhaltung weitergeben.

Mit freundlichem Tadel ermahnt sie jene, die mit Plastiksackerln vorbeigehen, und drückt ihnen einen grünen Jutebeutel in die Hand. "Oje, die Grianen", raunt eine alte Frau. Felipe diskutiert auch mit den hoffnungslosen Fällen. "Ich bin ein empathischer Mensch. Das ist eine politische Kompetenz."

Als Parteichefin in Stellung gebracht

Das scheinen auch die Bundesgrünen so zu sehen. Hinter vorgehaltener Hand wird in Wien inzwischen erzählt, dass die Tirolerin längst nicht nur die Reservefrau sei. Ganz im Gegenteil: Felipe werde gerade als neue Bundessprecherin in Stellung gebracht. Wenn Glawischnig nicht mehr will, soll sie die neue Eva werden. "Sicher bin ich als ihre Stellvertreterin eine Option, aber ich fühle mich sehr wohl in Tirol", sagt Felipe vorsichtig. Und hängt dann ihren Lieblingsstehsatz an: "Ich bin in die Politik gegangen, um gestalten zu können."

Die 37-Jährige wäre eine ungewöhnliche grüne Parteichefin. Sie wäre die Frau des versöhnlichen Mittelwegs. Lange Zeit wurde sie von Tiroler Parteikollegen für einen klassischen Realo gehalten, weil sie die Ansicht vertritt, dass man, um etwas zu verändern, auch Macht braucht. "In Menschenrechtsfragen bin ich ein Fundi", sagt sie selbst über sich.

Ideologisch flexibel

Nachdem Peter Pilz den internen Zwist, ob die Grünen in der Flüchtlingsfrage zu blauäugig seien, in die Öffentlichkeit getragen hatte, wurde Felipe vom Ö1-Morgenjournal um ein Interview gebeten. Bevor sie sich zu Wort meldete, rief sie bei Pilz an. Schlussendlich erklärte sie im Radio: "Ich halte es für notwendig, die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ernst zu nehmen. Das heißt aber nicht, dass man sie verstärken, sondern dass man sie nehmen soll." Damit konnten wohl beide Lager leben.

Felipe ist kein politischer Kopf von klein auf. Ihre Mutter ist eine Bauerntochter, ihr Vater der Sohn einer Alleinerzieherin mit neun Kindern. Beide Elternteile sind Kaufmannsleute. "Politik war bei uns nie ein Thema", sagt Felipe. Als sie die Handelsakademie besuchte, wurde sie Schulsprecherin, blieb aber unabhängig. "Ingrid war damals parteipolitisch nicht einzuordnen", erzählt ihr ehemaliger Schulkollege Mesut Onay, der für die Grünen im Innsbrucker Gemeinderat sitzt.

Managerin eines Fußballvereins

"Sie gehört nicht der grünen Elite an, die sich mehr ihrem Studium als den demokratischen Realitäten verpflichtet fühlt", führt er aus. Felipe schöpfe ihre Kraft mehr aus der Gesellschaft als aus Büchern, sagt Onay. Er hat damit nicht unrecht. Als Parteichefin wäre Felipe die Antithese zu ihren bisherigen Vorgängern wie Freda Meissner-Blau, Alexander Van der Bellen oder Eva Glawischnig, denen der Ruch der abgehobenen Intellektuellen anhaftet. Sie ist ein Mädchen aus der Basis.

Eigentlich wollte Felipe Managerin eines Fußballvereins werden. Sie studierte Betriebswirtschaftslehre, verliebte sich im Urlaub in einen Dominikaner, besuchte ihn wieder und wieder und heiratete ihn, um ihren Freund nach Österreich zu holen. Seither heißt sie auch Felipe Saint Hilaire und nicht mehr Walpoth. Nach einem Jahr Ehe bekam sie ein Kind, die Beziehung ging zu Bruch, sie wurde Alleinerzieherin. "Finanziell habe ich heftige Zeiten durchgemacht", sagt sie.

"Kleinen Mann" ansprechen

Aus parteistrategischer Sicht wäre Felipe also vielleicht keine schlechte Wahl. Denn: Durch die aktuelle Performance der Sozialdemokraten gewinnt Kanzler Werner Faymann bei jenen, die sich als linke Intellektuelle verstehen, kaum an Attraktivität. Sie sind für die Grünen ansprechbar. Felipe wäre diejenige, die darüber hinaus – um im Strategensprech zu bleiben – endlich auch den kleinen Mann erreichen könnte. Gleichzeitig wäre sie vermutlich in der Lage, durch ihren ideologischen Spagat die internen Lager zu umklammern.

Die große Frage ist, ob sie das politische Format zur Parteichefin hat. Vor nicht ganz drei Jahren, als sie zu Tirols stellvertretender Landeshauptfrau ernannt wurde, hätte ihr das wohl noch kaum jemand zugetraut. Sie war damals quirlig, doch unsicher, erschien oftmals naiv.

Doch selbst kritische politische Beobachter attestieren Felipe, sich in ihrer Rolle gemausert zu haben. Der SPÖ haftete als Koalitionär im schwarzen Tirol ein Ministrantenimage an. Felipe war stets bemüht, Landeschef Günther Platter ein Juniorpartner auf Augenhöhe zu sein. Egal was er verkündet, sie steht daneben – und gibt ihren Senf dazu.

Neue Frauengeneration

Sachpolitisch hat sie sich bisher vor allem durch die vonseiten der Europäischen Union verordneten Nachnominierungen von sogenannten "Natura 2000"-Gebieten bewährt. Mit den verärgerten Osttiroler Bürgermeistern, die den Nutzen solcher Naturschutzzonen bezweifeln, suchte sie immer wieder das Gespräch. Man kann ihr in dieser Causa Grundsatztreue und Durchhaltevermögen zugestehen.

Bei den kommenden Landtagswahlen 2018 wird ihr Schaffen in Tirol vermutlich daran gemessen werden, ob sie es bewerkstelligt, für Innsbruck wie in Wien ein 365-Euro-Jahresticket für die öffentlichen Verkehrsmittel auszuverhandeln.

Bekanntheitsgrad

Als Eva Glawischnig ihre neue Stellvertreterin willkommen hieß, erklärte sie: Ingrid Felipe sei die "Repräsentantin einer neuen Frauengeneration der Grünen". Man könnte das auch so interpretieren: Vielleicht gehört sie der ersten Generation an Frauen an, die es sich leisten können, Spitzenpositionen anzustreben, ohne sich männliche Verhaltensmuster aneignen zu müssen. Felipe ist wesentlich "weicher" als der klassische Typus Politikerin, den man kennt. "Ich bin bekannt für meine unordentliche Frisur", sagt Felipe. "Eva ist eher rational, ich bin extravertierter und übermütig."

Um Parteichefin zu werden, muss sie vermutlich trotzdem noch lauter werden, ihren Bekanntheitsgrad ausbauen – vor allem außerhalb Tirols, offensichtlich aber selbst in ihrem Heimatort: Beim Kaspressknödelverteilen fragt eine Frau nach einem längeren Gespräch, wer sie denn eigentlich sei. "Ich bin die Stellvertreterin von Günther Platter und auch von Eva Glawisching", antwortet Felipe. "Aha", murmelt die Alte. "Bei uns in Rum?" (Katharina Mittelstaedt, 27.2.2016)