Bewusst gewählt ist das Südseeklischee des Bastrocks: Simon Bauer, Steffen Link und Oliver Mathias Kratochwill (v. li.). Sebastian Schindegger (vorn) ist August Engelhardt.

Foto: Matthias Heschl

Wien – "Ein kleines, schrumpeliges, haariges Etwas" – von Penissen, die an diesem Abend im Schauspielhaus hinreichend präsentiert werden, ist hier gewiss auch die Rede: den heterosexuellen, weißen, männlichen Machtanspruch schalkhaft adressierend. Vor allem aber werden damit Kokosnüsse beschrieben. Unter allem Obst der Form des menschlichen Kopfes am nächsten, sind sie für August Engelhardt in Imperium fruchtfleischiges Ebenbild Gottes und Kultobjekt seiner Hoffnung auf Erlösung.

Zu jener drängt den Nürnberger das soziale Elend, das im Deutschland an der Wende zum 20. Jahrhundert mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Einzug gehalten hat: städtische Enge, Unterernährung, von Fabriken verschmutzte Umwelt. Licht, Freiheit und zurück zur Natur fordern die Rufe der Lebensreformer. Jene, für die dies Gute nicht fern genug liegen kann, sammeln sich gar in der Südsee.

Dem Träumer folgen die Spinner

August, der Heilerde trinkende Kauz mit Goethes Faust im Gepäck, ist einer von ihnen. Am Eiland Kabakon verfolgt er das von der Utopie geleitete, vom Irrsinn begleitete und dem Versagen geweihte Unterfangen seiner frutarischen Religionsgründung. Denn neben Idealisten lockt das pazifische Deutsch-Guinea vor allem an der Zivilisation gescheiterte Existenzen, Scharlatane und Spinner.

Etwa den schwulen und pädophilen Antisemiten Heinrich Aueckens, der sich von der Fremde zuvorderst zügellose Triebbefriedigung erwartet. Nur einer von vielen bitterbösen Witzen: Um seinen friedlichen Traum zu schützen, erschlägt August ihn mit einer Kokosnuss. Darüber eine Palme aus zwei an einen Scheinwerfer gesteckten Blättern. Eine doppelt destruierte Idylle.

Keine Lächerlichkeiten

Christian Krachts 2012 erschienener Roman Imperium handelt von Ideologien, Heilsversprechen, kolonialer Überheblichkeit – und auch vom Hipsterismus unserer Tage. Das Schauspielhaus hat mit der österreichischen Erstaufführung manches riskiert und alles gewonnen. Die Ernsthaftigkeit der Ironie hätte ins Lächerliche abrutschen können, der Nudismus zur Peinlichkeit geraten, der Exzess zu bloßer Provokation. Nichts davon geschieht. Regisseur Jan-Christoph Gockel und Dramaturg Tobias Schuster haben den Stoff in zwei soghafte Stunden gepackt, dazu berauschend reich bebildert.

Nur den Reservechristus Sebastian Schindegger belässt die Inszenierung überzeugend in seinem naiven Wahn. Simon Bauer und Steffen Link wechseln zwischen Anzug, Khakihose und Baströckchen die Rollen, treten immer wieder aus der Darstellung ihrer historisch existenten Figuren heraus. Sie reflektieren das Gezeigte kulturkritisch, bereichern damit das einstige Zeitpanorama ums Heute.

Jacob Suske ist als famoser Tonkünstler und Soundmacher mit auf der Bühne, der die starken Szenen wahlweise atmosphärisch, heiter oder episch mehr als nur untermalt. Oliver Kratochwill zupft die Gitarre zu STS-Strandfantasien. Chaotisch, dramatisch, melancholisch, sensibel, zum Brüllen komisch und existenziell wechseln die Eindrücke. Dafür gibt es verdient stürmischen Applaus. (Michael Wurmitzer, 26.2.2016)