Bei Imagetanz werden wohl gewichtige Fragen zur Männlichkeit beantwortet – auch mit der Produktion "Function Man".

Meuhas

Wien – Die Berliner Tanz- und Performanceszene ist eh ganz lustig unterwegs. Auch wenn die Hauptstadt eines der reichsten Länder der Welt notorisch am Rand der Pleite balanciert und zum Trost bei der freien Kunst spart. "Arm, aber sexy", heißt es über die Spreemetropole. Das stärkt offenbar den sozialen Zusammenhalt, zu dem eine humorvolle Show des Berliner Social Muscle Club passt, die den Start des Imagetanz-Festivals im Brut-Theater markierte.

In Wien hat traditionell der abgründige Schmäh ein leichtes Spiel, da der Witz hier seine Beziehung zum Unbewussten halt extra freudig pflegt. Doch dem jungen, neuen Theaterpublikum hierzustadt ist weniger der schwarze Humor als eher eine leichtere, ethisch mobilisierende Lustigkeit willkommen. Und die liegt dem trendverdächtigen Sozialmuskelverein im Blut.

So ließ sich seine superfreundliche Show, die auch schon in anderen europäischen Städten zu Gast war, auch an: Publikumseinlass durch ein Spalier händeschüttelnder und schulterklopfender Mitspieler (für vereinzelte Eingelassene ein ergreifendes Nahtoderlebnis); das Theater umgebaut in einen Arbeiterklub mit langen Tischen, Bänken sowie Podestbühne mit Sozialmuskellogo. Und einem Bett mit Moskitonetz. Man setzte sich zusammen, folgte der Einladung, an jedem Tisch eine bereitliegende Konfettikanone abzufeuern, und konnte sich ins Bett legen, wenn man Privatsphäre brauchte.

Ergreifend sang Jill Emerson, eine Ko-Initiatorin des Social Muscle Club, die Hymne Mama - richtig: Heintje -, unterbrach aber mit vorgetäuschtem Hustenanfall. Die folgende Aufgabe fürs Publikum: auf Zettel schreiben, was man sich wünscht oder was man zu geben hätte. Bitte beachten: "Das ist kein Tauschgeschäft!" Erst wird mit Moderatorenbegleitung an jedem Tisch in kleinem Kreis geboten und genommen, dann gilt das "Suche-Biete-Offert" für das gesamte Publikum.

Die soziale Kontrolle

Geboten wurden beispielsweise Massagen, Hundetraining oder Theaterkarten; gewünscht unter anderem ein Helikopterflug, Deutschunterricht plus Lebenshilfe und Geschichten über peinliche Jobs. Nichts Aufregendes, denn im Theater fühlen sich alle unter sozialer Kontrolle. Ein Mann erzählte von seinem Job als Nebendarsteller bei Lars von Triers Nymphomania. Er räumte zu Recht die meisten Lacher ab.

Zwischendurch gab es drei Darbietungsgeschenke von Wiener Performanceschaffenden. Den schwärzesten Beitrag lieferte die aus Polen stammende Wienerin Ewa Bankowska mit einem bissigen Stand-up-Solo über die autoritäre politische Wende in ihrem Herkunftsland. Ein kleines Danaergeschenk, das den ganzen Sozialspaß ein wenig durcheinanderbrachte.

Bankowska stellte ein echtes Problem auf die Bühne. Der Rest der Veranstaltung war eine einzige Abwendung von der Politik und ihrer Kritik. Mit der Metapher des "sozialen Muskels" ist offenbar die Verkörperung des Sozialen jenseits marktlogischer Gemeinschaftsattrappen gemeint. Das ist gut, aber es kam zu verspielt daher. Der Social Muscle Club muss sich wohl die Frage stellen, ob er das Theater nicht allzu sehr in ein "Nimmerland" verwandelt, in dem alle immer Kinder bleiben dürfen.

Und etwas Tröstliches

Die Verbindung zu "You are enough", dem Motto, das der Imagetanz-Kurator Jacopo Lanteri für sein erstes Festival gewählt hat, liegt nahe. Der Satz stammt wohl aus dem Song der US-Band Sleeping at Last. Da heißt es: "When we grew up, our shadows grew up too." Und zum Trost: "We let our shadows fall away like dust." Von so viel Herzenswärme wird's einem auch nur ganz wenig schlecht. Die Kunst rückt sichtlich näher ans Publikum, auf der Suche nach einem letzten Verbündeten im Klimawandel der Gesellschaft.

Humor ist am Wochenende auch von Gunilla Heilborn in ihrem Solo The Knowledge zu erwarten. Sie stößt in die Weichteile der Verunsicherung gegenüber unserem Wissen. Und tippt damit eine Krise an, die als "Bildungsdebatte" durch Schulen und Universitäten sickert. Auch María Jerez tritt Weichteilen nahe, und zwar jenen des Popgeschäfts in ihrem Auftritt als DIY-Queen. Am folgenden Wochenende ab dem 11. März findet die "Stärkung der sozialen Muskeln" des Berliner Clubs ihr Anti beim "Function Man" von Claire Lefèvre und Matan Levkowich. Letzterer stammt aus Israel; wie die Französin Lefèvre lebt und arbeitet er in Wien. In dem Männersolo werden Militärdrill und Tanztraining miteinander aufgewogen. Auf die anfängliche Nettigkeit von Imagetanz folgen also auch andere Töne.

(Helmut Ploebst, 5.3.2016)