Salzburg – Der Pausenlärm verstummt, als die Lehrerinnen Anu Dakic und Jutta Onrednik die 2b der Neuen Mittelschule betreten. Dakic gebärdet vor den Schülern, diese lachen. Auf dem Stundenplan steht heute Österreichische Gebärdensprache. Vier der neun Kinder in der Klasse sind hörbeeinträchtigt, Dakic selbst ist gehörlos. Die Lehrerin unterrichtet in der Josef-Rehrl-Schule in Salzburg hörende, gehörlose und schwerhörige Kinder gleichzeitig, in den inklusiven Klassen ist die Gebärdensprache als zweite lebende Fremdsprache ein prüfungsrelevanter Pflichtgegenstand.

"Es ist nur beim Gebärdenunterricht so ruhig hier, sonst sind die Schüler recht plaudrig", scherzt Klassenlehrerin Onrednik. "Die Schüler passen sich in der Pause schnell an den Sprachcode anderer Kinder an", sagt die ausgebildete Gebärdendolmetscherin. Entweder verwenden sie Gebärden, nur die Lautsprache, oder sie setzen Gebärden unterstützend als Hilfsmittel ein.

Kommunikation unabhängig vom Hörstatus

Das Gleiche gilt für die Hauptfächer, in denen meist eine Gebärdendolmetscherin anwesend ist. "Wir haben da einen Code: Wenn sie hersehen, dolmetsche ich", sagt Onrednik. "Ziel ist immer das Wissen. Ob sie es in gesprochener Sprache oder mittels Gebärde besser verstehen, ist egal." Dakic ergänzt in Gebärden: "Es ist nicht wichtig, wie der Hörstatus von jemandem ist, sondern dass Kommunikation gelingt." Die gehörlose Pädagogin plädiert dafür, hörbehinderte Kinder trotz technischer Hilfsmittel zweisprachig aufwachsen zu lassen. "Weil das die Sprachwahrnehmung von Anfang an fördert und den Kindern eine Chance in beiden Welten gibt."

Die Lehrerinnen entwickeln ihre Unterrichtsmaterialien selbst, gebärdet wird im Salzburger Dialekt. Das Vokabelheft besteht aus Fotos von Anu Dakic, auf denen sie die Gebärden vormacht. Hinzu kommen Beschreibungen der Gesten, Bewegung und Mimik. Die Kinder erledigen ihre Hausaufgaben teilweise in Form von Handyvideos, die dann in der Klasse angesehen werden.

Grammatik vorzeigen

Alexander ist an der Reihe, seine Hausübung vorzuzeigen. Er steht auf, stellt sich vor die Klasse und gebärdet. Es handle sich um eine Grammatikübung, erklärt Onrednik. Wichtig seien dabei die Parameter der Gebärde, etwa die Handstellung, die Ausführungsstelle, die Bewegung und die Mimik. Alexander zeigt vor, die anderen Schüler machen die Gebärde nach.

Alexander führt seine Grammatik-Hausübung vor der Klasse vor.
Foto: Hannes Huber

Rund 120 Schüler besuchen die Josef-Rehrl-Schule. Es gibt eine NMS sowie Haupt- und Volksschulklassen. Vier Lehrer sind ausgebildete Gebärdendolmetscher, zwei Native Signer, die mit Gebärdensprache als Muttersprache aufgewachsen sind. In den Hauptfächern gibt es eine Doppelbesetzung. Grundsatz der Josef-Rehrl-Schule ist die umgekehrte Integration von gehörlosen und schwerhörigen Schülern. In den inklusiven Klassen sitzen jeweils etwa gleich viele hörende und hörbeeinträchtigte Kinder.

"Win-win-Situation mit relativ geringen Aufwand"

"Es ist für beide eine Win-win-Situation mit relativ geringem Aufwand", sagt Direktor Stefan Fraundorfer. Bei den hörbehinderten Kindern werde dadurch das lautsprachliche Niveau höher, und sie erfahren das Interagieren und Kommunizieren als etwas Selbstverständliches. "Die hörenden Kinder profitieren sozial und bildungstechnisch", sagt Fraundorfer. Sie lernen eine neue Sprache, und als Kinder seien sie vorurteilsfrei im Umgang mit der Gehörlosenkultur.

Foto: Hannes Huber

Jetzt wird es laut im Klassenraum. Die Schüler schieben die Tische zur Seite und bilden einen Sesselkreis. Nun können einander alle optimal beim Gebärden zusehen. Zeit für eine Nacherzählung. Die Kinder erzählen eine Geschichte über den peinlichen Fleck nach, die ihnen Dakic vor einer Woche gebärdet hat. Die gehörlose Lehrerin gebärdet dabei mit. "Sie bessert aus oder zeigt den Schülern andere Möglichkeiten, wie man es auch ausdrücken könnte", erklärt die Klassenlehrerin.

"Besser von beiden lernen"

Die Schüler sind begeistert von ihrer zweiten Fremdsprache. "Gebärdensprache ist oft sehr lustig wegen der Mimik", sagt Alexander. "Anu hat eine besonders lustige Mimik", wirft Julie ein. Alexander, der hört, erzählt, er verwende die Gebärden auch schon unbewusst zu Hause, etwa wenn er mit Oma und Opa spreche. Kevin trägt ein Cochlea-Implantat, das ihm über elektromagnetische Impulse hilft zu hören. Er findet es praktisch, dass seine Mitschüler gebärden: "Ich kann besser von beiden lernen und besser üben." Besonders beim Schwimmen sind die Gebärden für ihn notwendig, weil er da seine technische Unterstützung ablegen muss.

Kevin, der ein Cochlea-Implantat trägt, findet es besonders beim Schwimmen praktisch, dass seine Schulkollegen Gebärdensprache können.
Foto: Hannes Huber

Die Freundinnen Noemi und Julie nutzen die Gebärden auch, um sich in der Freizeit heimlich zu verständigen. "Ich tue dann manchmal so, als könnte ich nur gebärden", sagt Julie, die später Gebärdendolmetscherin und Lehrerin in der Rehrl-Schule werden möchte. Ihre hörbeeinträchtigte Freundin Noemi sieht den Vorteil für alle: "Wir lernen alle mehr dazu." Die Stunde ist vorüber. Eine Pausenglocke gibt es nicht. Die hörbehinderten Kinder haben nun noch eine Zusatzstunde Deutsch, dann ist auch für sie der Schultag vorbei. (Stefanie Ruep, 10.3.2016)