Oben Restaurant, unten Bar: Das Paul gibt sich auf ziemlich internationale Art als wienerisch alpines Lokal.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Mangalitza-Kotelett ist ein mächtiges, schön gebratenes Trumm.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Paul liegt in der Johannesgasse, wo es bislang trotz (oder gar wegen?) bester Innenstadtlage eher seltsame Lokalitäten geschafft haben: Die Bettel-Alm befriedigt die Lust des Wieners auf unterirdisch trachtige Anbraterei, der Bettelstudent jene der Touristen auf überbackene Brote und glutaminöse Fritten – und das Drama, das sich an Wiens potenziell tollster Gastroadresse (Stadtpark-Kursalon, was sonst) abspielt, sollte mit Rücksicht auf die Psychohygiene des kollektiven Bewusstseins nur ganz vorsichtig erwähnt werden.

Und mitten in dieser merkwürdigen Gemengelage aus mehr oder minder einschlägigen Buden sperrt nun ein Gastronomieprofi ein feines Restaurant auf. Der Wirt Reinhold Six kommt aber auch von weit her, die vergangenen 13 Jahre hat er in der Schweizer Tophotellerie zugebracht. Wien tut er sich offenbar der Liebe wegen an. Uns kann es recht sein.

Nicht etwa weil das Paul (benannt nach Six' Stiefsohn, große Liebe wie gesagt) das tollste neue Restaurant seit ganz langem wäre. Ein ziemlich nettes, im Dekor auf durchaus agile Art zwischen alpinem Hirschgeweih und kompakter, großstädtischer Eleganz tänzelnd, ist es aber allemal.

Beeindruckende Weinkarte

Ziemlich toll ist die Kalkulation der Weinkarte: Königsegg 2009 von Schloss Halbturn um 5,90 Euro je Achtel ist schon eine reife Mezzie. Richtig gut wird es bei den ganzen Flaschen: Nikolaihofs Riesling vom Stein 2008 um schlappe 38, Gesellmanns großer Bela Rex 2009 um 72 Euro, vor allem aber ein paar mythische Gantenbein-Weine aus Graubünden, deren man in Österreich schon im Einkauf kaum so günstig habhaft werden kann, wie sie hier ausgeschenkt werden. Keine Ahnung, wie viel davon da ist, wem Gantenbeins grandioser Pinot 2010 95 Euro wert ist, der sollte sich besser sputen: gut investiertes Geld!

Im Parterre des Lokals ist eine Bar mit hochbeinigen Tischen und Barstühlen, da gibt es aufmerksam gefertigte Kleinigkeiten. Einen erstaunlichen Aufstrich aus Sauerkraut und Selchspeck etwa, der zu Kasses-Brot gereicht wird – Trzesniewski, da kannst was lernen! Im ersten Stock ist das Restaurant untergebracht, da spielt Six auch ganz charmant mit der österreichischen Küchentradition.

Das Saftl, ein See

Okay, das in Butterschmalz soufflierte Wiener mit herausragendem, cremigem Erdäpfelsalat ist klassisch (wiewohl Preiselbeeren nur im Westen und Süden sein dürfen). Umso mehr verblüfft die geröstete Kalbsleber mit Apfel und Zwiebel: Wird in einem tiefen Suppenteller serviert, ist akkurat auf den Punkt geröstet – aus einem See köstlichen Saftls hebt man aber nicht nur bissfesten Risotto, sondern auch Braterdäpfel in der Schale. Verwundert erst einmal, funktioniert aber. Und der Saft will schließlich irgendwie aufgetunkt werden.

Blunzenburger gelingt nicht ganz so super: Zwar ist die cremige Fülle tadellos würzig, auch die Toppings machen mit scharfem Kren, Apfel und Zwiebel Freude. Erdäpfelpuffer, die anstatt eines Buns verwendet werden, sind aber weder knusprig noch flaumig und wirken nicht frisch gemacht. Mangalitza-Kotelett ist (siehe Bild) ein mächtiges, schön gebratenes Trumm; was in der Karte als Erdäpfelnockerln angekündigt wird, kommt aber auf dem Teller als ziemlich undefinierbares Häufchen an, hm.

Dafür macht der auf der Haut gebratene Alpenlachs, unten knusprig, oben von gerade lauwarmem, fast rohem Schmelz, umso mehr Freude: So mutig gehen nur Wenige mit dem zarten Fisch um. Rote-Rüben-Risotto und Basilikum-Pesto dazu mögen ein bissl nach Nineties klingen, wenn der Risotto so prächtig bissfest und "all'onda" cremig gerührt ist wie hier, lässt man sich das aber gern gefallen. (Severin Corti, RONDO, 18.3.2016)