Hier unsichtbar, aber einflussreich: die Eltern am Esstisch.

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Dass Emotionen und Essverhalten eng miteinander verknüpft sind, weiß vermutlich jede und jeder aus eigener Erfahrung. Weniger bekannt dürfte sein, dass auch die Gefühle von Eltern Einfluss auf das Essverhalten der Kinder nehmen können – und umgekehrt. Ein Team von Forscherinnen und Forschern der Universität Illinois hat herausgefunden, dass Eltern, die unter dem sogenannten Binge-Eating-Syndrom leiden, die Ernährung ihrer Kinder besonders streng kontrollieren und einschränken. Umgekehrt reagieren diese Eltern ihrerseits auf negative Gefühle ihrer Kinder wie Wut oder Trauer mit Essanfällen.

Binge Eating ist durch wiederkehrende, unkontrollierte Essanfälle ohne anschließende kompensatorische Handlung wie Erbrechen gekennzeichnet. Die Patientinnen und Patienten empfinden häufig Schuld- und Schamgefühle aufgrund dieses Verhaltens. Und sie haben oft Probleme damit, negative Emotionen auszuhalten und zu regulieren.

Wechselseitige Beziehung

"Wir wollten wissen: Wie hängt das Überessen der Eltern damit zusammen, dass sie die Ernährung ihrer Kinder beschränken?", sagt Studienleiterin Jaclyn A. Saltzman, die zum Einfluss von Familienstrukturen auf die Entstehung von Übergewicht forscht. "Wir konnten zeigen, dass Eltern, die auf negative Gefühle der Kinder wie Wut, Angst oder Weinen mit übermäßigem Stress reagieren, das mit wiederkehrenden Essanfällen kompensieren. Zugleich schränken diese Eltern die Nahrungsaufnahme ihrer Kinder übermäßig ein und kontrollieren sie."

Gut gemeint

Die Forscher vermuten zwei Erklärungen für diesen Zusammenhang: Eltern mit Essanfällen könnten so sehr damit beschäftigt sein, ihren eigenen emotionalen Stress auszuhalten, dass es ihnen schwerfällt, sensibel auf die Emotionen ihrer Kinder zu reagieren und Signale für Hunger und Sättigung wahrzunehmen. "Es könnte aber auch sein, dass Eltern mit Binge-Eating-Syndrom die Nahrungsaufnahme ihrer Kinder deswegen einschränken, weil sie ihnen dabei helfen wollen, selbst kein krankhaftes Essverhalten zu entwickeln", so Saltzman. Dieser Plan geht allerdings nicht auf: Man wisse heute, dass die restriktive Kontrolle des Essverhaltens von Kindern dazu führen kann, dass diese sich eher überessen, ohne Hunger essen und übergewichtig werden.

Saltzman und ihr Team hatten mehr als 440 Eltern mit Kindern im Vorschulalter in ihre Studie einbezogen. Erhoben wurde das Essverhalten der Probandinnen und Probanden sowie die Art und Weise, wie sie ihre Kinder ernährten. Zusätzlich ermittelten die Forscher, ob die Eltern zu Depressivität, Ängstlichkeit und Stressgefühlen neigten. Es braucht Saltzman zufolge aber weiterführende Forschung, um diesen Zusammenhang näher zu beleuchten. (Lisa Mayr, 5.4.2016)