Seeohrenschnitzel und Buschpflaumen: Zehn Wochen lang kochte das Team des dänischen Spitzenrestaurants Noma in Sydney und interpretierte die Küche der australischen Ureinwohner neu

Warum da kleine tote Ameisen an der Mango kleben, will sich einem nicht auf Anhieb erschließen. Noch dazu, wo der bekannt intensive Geschmack der Frucht sowieso alles übertüncht. Die Ameisen seien dazu da, erklärt der Kellner, der überreifen Mango mehr Frische und Säure zu verleihen.

Dazu hätte man auch ein paar Tropfen Zitrone nehmen können, ist man verleitet zu denken. Doch hätten diese wohl dem Gesamtkonzept des Noma-Pop-up-Restaurants in Sydney widersprochen.

Schließlich sei man von dem Grundgedanken ausgegangen, wie wohl die Küche Australiens heute aussehen würde, hätten die Aborigines mit den europäischen Siedlern von Beginn an in Harmonie gelebt, erklärte Chefkoch René Redzepi gegenüber einer lokalen Zeitung. Das ist freilich eine schöne Vorstellung – und für ein Restaurant ein sehr ehrgeiziger Anspruch.

Foto: Georges Desrues

Schließlich sei man von dem Grundgedanken ausgegangen, wie wohl die Küche Australiens heute aussehen würde, hätten die Aborigines mit den europäischen Siedlern von Beginn an in Harmonie gelebt, erklärte Chefkoch René Redzepi gegenüber einer lokalen Zeitung. Das ist freilich eine schöne Vorstellung – und für ein Restaurant ein sehr ehrgeiziger Anspruch.

Mit diesem utopischen Bild im Kopf und entsprechender Erwartung sitzt man also an einem der vom ersten bis zum letzten Tag restlos ausgebuchten Tische des für zehn Wochen geöffneten Lokals in Sydneys Darling Harbour – und wartet dort gespannt, was wohl der jeweils nächste der zwölf Gänge des 485 Dollar (ca. 325 Euro) teuren Verkostungsmenüs (ohne Weinbegleitung) für Überraschungen bringt.

Foto: Georges Desrues

Naturgemäß ist da einiges Exotisches darunter. Wie etwa zum Auftakt ein optisch wie geschmacklich äußerst gelungenes Gericht aus wilden Beeren und sogenannten Buschpflaumen, die allesamt nur hier am fünften Kontinent vorkommen.

Es folgt eine Auswahl von Muscheln, die mit knusprig frittiertem Krokodilfett serviert werden. Und im Anschluss ein sorgsam drapiertes Assortiment verschiedener Algen und saisonaler Wildkräuter, die sich rund um ein Stück paniertes Seeohr ranken.

Foto: Georges Desrues

Panierte Abalone

Die imposante und fleischige Seeschnecke selbst wird übrigens als "Schnitzel" geführt, sozusagen als Hommage an dieses auch in Australien sehr beliebte Gericht, das freilich auch hier üblicherweise aus Fleisch bereitet wird. Garniert wird das Seeohrenschnitzel statt mit einer Zitronenscheibe mit einer Australischen Fingerlimette.

"Neben dem Saltbush ist die Fingerlimette eine der aufregendsten Ingredienzien, auf die wir hier gestoßen sind", erzählt tags darauf René Redzepi beim entspannten Frühstück auf der Restaurantterrasse, "mit ihrer Frische und Saftigkeit verkörpert sie für mich den Geschmack Australiens." Irgendwie erleichternd, dass diese Ehre nicht den Ameisen zuteil wird.

Bereits im Vorfeld ist der Däne mit einem Teil seines Teams mehrmals hierhergereist, um sich mit lokalen Köchen, mit Lieferanten und Aborigines-Gemeinschaften zu treffen und gemeinsam Wüsten, Wälder und Küsten des Landes zu durchstreifen auf der Suche nach Essbarem. "Dabei haben wir wahnsinnig viel gelernt, und es hat sich uns eine völlig neue Welt an Geschmäckern, Aromen und Konsistenzformen erschlossen", so Redzepi.

Bushtucker oder Bushfood nennen die Australier jene Lebensmittel, die nur in ihrem Land vorkommen und in ihrer gewaltigen Vielfalt über zigtausend Jahre die Ernährungsgrundlage der eingeborenen Aborigines bildeten – von der europäisch stämmigen Bevölkerung bislang jedoch eher gemieden wurden.

Foto: Georges Desrues

"Mit Ausnahme der Aborigines sind die Australier ein bisschen wie auch wir Dänen eine sehr moderne Gesellschaft, mit kaum eigener Küchentradition und nur noch wenig Wissen darum, wie viel Essbares uns eigentlich umgibt", sagt Redzepi. Dieses Wissen wolle er den Gästen im Noma näher bringen.

Den Einwand, dass es doch etwas seltsam anmuten könnte, dass es dazu ausgerechnet einen Europäer braucht, will er so nicht gelten lassen. "Es gibt hier Köche wie Jock Zonfrillo in Adelaide, die schon seit langem mit Bushfood arbeiten, und ohne die wir das nie geschafft hätten. Aber es ist nun einmal so, dass das Noma weltweit sehr viel Aufmerksamkeit erregt, dafür werde ich mich wohl kaum entschuldigen", betont der 38-Jährige.

Foto: Georges Desrues

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Aufmerksamkeit erregen

In Sydney wie in ganz Australien war das Pop-up-Restaurant über Monate Thema Nummer eins. Bereits im Mai 2014 startete man eine ehrgeizige Kampagne zur Promotion der australischen Küche und Restaurantszene, flog infolge hunderte Journalisten ein und bot ihnen an, Lokale und Erzeuger zu besuchen.

Durchaus verständlich also, dass die meisten australischen Kollegen das Gastspiel des Dänen wohlwollend betrachten. "Das ist eine wunderbare Sache", sagt etwa der Wirt und Koch Lennox Hastie vom angesagten Restaurant Firedoor in Sydney, "das Noma hat bewirkt, dass gewissermaßen die Scheinwerfer auf uns alle gerichtet sind, mehr kann man sich in unserem abgelegenen Land kaum wünschen."

Foto: ap/griffith

Aber es gibt noch einen weiteren Grund, warum sich so ein Pop-up-Restaurant in der Ferne auszahlt. Heutzutage will nämlich kaum noch jemand von skandinavischen Köchen und Restaurants lesen. Längst ist der Hype abgeflaut, der noch zu Beginn des laufenden Jahrzehnts um die nordische Küche herrschte.

Darum müssen sich die Stars etwas einfallen lassen, um in unserer sich so schnell verändernden Welt weiterhin im Gespräch zu bleiben. Redzepi selbst bestreitet das gar nicht. "Das war freilich nicht der Hauptgrund, warum wir hierhergekommen sind. Aber natürlich ist da etwas dran. Heutzutage muss man eben immer wieder etwas Neues bieten", sagt er.

Foto: Georges Desrues

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Darum werde er nach seiner Rückkehr nach Dänemark (das Noma in Sydney hat bereits wieder geschlossen) auch bald sein nächstes Projekt in Angriff nehmen: ein Restaurant, umgeben von einer Farm, mitten in Kopenhagen. Stillstand bedeute eben Rückschritt, betont der Küchenchef. Und Rückschritt kann sich heutzutage niemand mehr leisten – auch nicht der Superstar unter den Köchen.

Die Australier jedenfalls werden es ihm danken, so wie alle anderen, die die Möglichkeit hatten, im Noma Sydney zu essen. Wenn sich nur diese Empfindung loswerden ließe, die einen noch Stunden nach dem Restaurantbesuch begleitet – und die sich anfühlt wie kleine Ameisen zwischen den Zähnen. (Georges Desrues, RONDO, 25.4.2016)

Noma

>> Fotostrecke vom Essen im Noma 2011

Foto: ap/adrian

Mehr Impressionen vom Essen im Noma.

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