Wer jemandem, der am Tag der Arbeit noch nie im Zentrum der Solidarität gestanden ist, die Feierlichkeiten beschreiben will, die die Bezirksgruppen und Interessenverbände der Sozialdemokratie am 1. Mai zum gemeinsamen Marsch Richtung Innenstadt einen, kann es wie der Vater in Wien-Hernals tun, der dem kleinen Sohn erklärt: "Da steht der Bürgermeister vor dem Rathaus und winkt."

Dass Michael Häupl heuer besonders streng schauen kann und manch ein Genosse am liebsten mit dem roten Tüchlein vom Platz winken würde, das ist eine andere Geschichte. Mehr davon später.

Am Rathausplatz waren am 1. Mai Buhrufe und Solidaritätsbekundungen gleichzeitig zu hören. Sie galten Bundeskanzler Werner Faymann. Ein Statement im Video stammt übrigens von Manuela Ostermayer, der Frau des Kanzleramtsministers.
Sarah Brugner

Die Bimmelbahn zur Reform

Im 17.Bezirk lässt man den Tag noch gutgelaunt beginnen. Herr Zecher schmückt kurz vor acht Uhr morgens die aus dem Prater entliehene Bimmelbahn mit Luftballons und Forderungen der Kinderfreunde, bei welchen er sich seit Jahren engagiert. Er ist keiner von denen, die den Parteichef loswerden wollen. Aber was die von ÖGB-Chef Erich Foglar losgetretene Debatte über eine Annäherung an die FPÖ anlangt, da hört auch Herbert Zechers Verständnis auf: "Hier wiederholt sich Geschichte. Da muss man sehr vorsichtig sein!" Auch "ein Präsident, der mit der Waffe spazieren geht", komme nicht infrage.

Herbert Zecher warnt die Genossen von der SPÖ: "Hier wiederholt sich Geschichte."
Foto: Robert Newald

Die Kritik an der Parteiführung, der der Wahlerfolg von FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer neuen Auftrieb beschert hat, gefällt dem stellvertretenden Klubobmann der SPÖ naturgemäß wenig. Aber Josef Cap, der als Chef der Roten im Bezirk vor Ort ist, ist ein Politprofi. Er findet "nichts Unanständiges daran, wenn man einmal diskutiert". Cap, der für den Reformprozess der Partei verantwortlich zeichnet, lässt den STANDARD wissen: "Ich bin für Programm- und nicht für Personaldebatten." Mehr will er zur Kritik an Parteichef Werner Faymann derzeit nicht sagen. Und was die FPÖ anlangt: "Auf Sachebene arbeiten wir immer wieder gut zusammen, haben aber auch härteste Auseinandersetzungen."

Marschierte zuversichtlich von Hernals bis zum Rathaus: Vizeklubobmann und Bezirksparteichef Josef Cap findet es "nicht unanständig, wenn man einmal diskutiert".
Foto: Robert Newald

Ob die Roten vom strikten Nein zur FPÖ, wie es gültige Parteitagsbeschlusslage ist, abgehen sollen? Cap hält davon wenig. "Die Antwort gibt uns ohnehin der Wähler", ergänzt der Herr daneben.

Auch Paul Jagsch, Bruder des Hernalser Bezirksvorsteher-Stellvertreters, ist überzeugt: "Irgendwann wird man den Kurs hier ändern müssen." Er will Faymann zwar "keine großen Fehler" vorwerfen – an dessen politisches Überleben glaubt Jagsch aber nicht mehr.

Normalerweise gehört freudiges Winken am 1. Mai zum Arbeitsauftrag von Bürgermeister Michael Häupl (li.) und Kanzler Werner Faymann. Lustig war's heuer nicht.
Foto: Robert Newald

"Putzt euch, und macht Platz für die echten SozialdemokratInnen", formuliert das die Bezirksgruppe aus Döbling zwei Stunden später auf ihrem Transparent auf dem Rathausplatz. Werner Faymann ist noch nicht auf der Bühne, sieht nichts vom Spruch der Genossen aus Alsergrund, die auf ihrem Banner befinden: "Notstand: Rote, die blaue Politik machen."

Es gibt aber auch andere Bäume im Schilderwald. "Werner, der Kurs stimmt", lassen die Simmeringer wissen. Und natürlich die Liesinger, die mit Nationalratspräsidentin Doris Bures ganz zum Schluss einmarschieren.

"Parteitag jetzt"

Kurz nach halb elf ist endlich auch der Parteichef da. Als er zur Rede ansetzt, baut sich eine Phalanx von "Parteitag jetzt"-Schildern, "Rücktritt"-Tafeln und "Obergrenze für Wahlniederlagen"-Transparenten vor ihm auf. Gegen die lautstarken Buhrufe und das begleitende Pfeifkonzert ist es schwer anzukämpfen. Werner Faymann fasst sich also kurz. Er erwähnt den "gemeinsamen Weg für ein faires, sozial gerechtes Österreich", spricht von Gesetzen, die nötig sind, um "für Menschlichkeit und Ordnung" beim Flüchtlingsthema zu sorgen.

Die Basis zeigt Parteichef Werner Faymann deutlich, was sie von ihm hält ...
Foto: Robert Newald

Es ist an Bürgermeister Häupl, die Causa prima anzusprechen. Erst jetzt ebbt der Protest ab. Er will "schonungslos diskutieren" – auch über die Gretchenfrage nach einer Koalition mit den Blauen. Häupl: "Auch wenn es einen einstimmigen Bundesparteitagsbeschluss gibt – die Realität ist eine andere." Freilich gebe es "unzählige inhaltliche Gründe, die dagegen sprechen". Häupl kann auch Klassenkampf: "Jawohl, wir brauchen zusätzliche Vermögenssteuern! Jawohl, wir müssen uns das von den Reichen holen!"

ÖGB-Chef Fogler lässt die Kritiker wieder laut werden, als er Faymanns Namen in den Mund nimmt. Seine Forderungen, abseits des Brückenbaus zu den Blauen, können hingegen begeistern: "Umverteilung, Millionärssteuer, Arbeitszeitverkürzung – das sind unsere Antworten!", ruft er, und die Menge jubelt. Dann noch Stadträtin Renate Brauner – schon wieder vorbei, der 1. Mai. Genug gegen die parteiinternen Zentrifugalkräfte gearbeitet.

Parteichef als "Desaster"

Paul S. zieht unzufrieden mit seinem "Rücktritt"-Taferl ab. Er ist seit vielen Jahren SPÖ-Mitglied, den Parteichef hält er für "ein Desaster". Kein Mensch verstehe etwa die Position der Roten in der Flüchtlingsfrage. Wer es besser machen würde als Faymann? "Ich würde das Telefonbuch aufschlagen und irgendjemanden nehmen." Als Minderheitenprogramm sieht der junge Mann seinen Protest nicht: "Die tun so, als wären wir irgendwelche Bobos oder naiven Ausländerfreunde – das ist indiskutabel!" Im Chor der Buhschreier war er nicht: "Ich hab's nicht übers Herz gebracht."

... es gibt aber auch Bezirksorganisationen, die vollauf zufrieden sind – allen voran Simmering und Liesing.
Foto: Robert Newald

Auch Thomas Reindl, Gemeinderat der SPÖ Donaustadt, findet den diesjährigen Maiaufmarsch "traurig". Kritik könne man schon üben, aber bitte in den Parteigremien. Dass sich am Montag "alle an einen Tisch setzen und streiten", findet er gut.

Laura Sukarov sieht das anders. Die Wiedener SJ-Chefin ist gekommen, "um diesen Tag nicht Leuten wie Faymann zu überlassen" – für sie ein "Symbol für all jene, die einen Rechtsruck zulassen". Faymanns Abgang allein würde allerdings wenig bewirken, glaubt Sukarov, die sich auch über dessen Wortwahl ärgert: "Wenn man keine ordentliche Politik macht, kann man auch keine ordentliche Sprache dafür finden." (Text: Karin Riss, Video: Sarah Brugner, 1.5.2016)