Marie Antoinette und Ludwig XVI. in neuem, nämlich rotem Licht: Olga Esina und Jakob Feyferlik in einer gelungenen Inszenierung von Patrick de Banas "Marie Antoinette" an der Volksoper.

Foto: Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Wien – Die Geschichte, die der in Hamburg geborene Choreograf Patrick de Bana über die Habsburgerin Marie Antoinette erzählt, enthält ein klares Statement. Dazu nämlich, was passiert, wenn man das Leben der von ihrer Mutter Maria Theresia als Teenager mit dem französischen Dauphin zwangsverheirateten Erzherzogin einmal ganz aus deren Perspektive ablaufen lässt. Dieses 2010 in Wien uraufgeführte Ballett ist jetzt in einer neu erarbeiteten Fassung an der Volksoper wiederzusehen.

Darin hat der bei John Neumeier – der am Montag seine Shakespeare Dances im Theater an der Wien präsentiert – ausgebildete Ballettschaffende einiges gestrafft und entschlackt. Eine gute Entscheidung. Ebenso wie die, Olga Esina in der Rolle der Protagonistin tanzen zu lassen – nunmehr in Spitzenschuhen. Und geschadet hat es auch nicht, den modernen Wiener Komponisten Carlos Pino-Quintana mit einigen neuen Musikpassagen zu beauftragen.

Erst geziert, später nervös

Esinas erst gezierte und später nervöse, zunehmend verzweifelte, schließlich schicksalsergebene, aber doch stolze Interpretation dieser ambivalenten Figur ist bis zur letzten Minute beeindruckend. Ähnlich markant sind Rebecca Horners schwarzkostümierte Maria Theresia als Schatten auf dem Leben der Marie Antoinette und Alice Firenze als deren Schatten-Double. Madame Elisabeth (Ketevan Papava), die tatkräftige Schwester Ludwigs XVI., erscheint im zweiten Akt ganz entgegen ihrem Charakter als jammerndes Nervenbündel.

Dieses zwischen Neoklassik und Moderne gehaltene Marie Antoinette-Ballett kommt zwar in der Konstruktion eines expressiven Rührstücks daher, aus dem Patrick de Bana das Schmalzige abgelassen hat. Das Psychologisieren mithilfe von sich verselbständigenden Schattenfiguren, der Personifikation des Schicksals oder etwa von Maria Theresia als gespenstische Figur im Innenleben der Marie Antoinette gelingt dem Choreografen. Außerdem setzt die Idee, die Wiener und Versailler Hofgesellschaft ebenso wie den Auftritt von "Revolutionären" in ein und derselben Besetzung (dort eine Besonderheit: Alaia Rogers-Maman) tanzen zu lassen, die Abgründe der dekadenten Monarchie auf eine Ebene mit den Düsternissen der Revolution.

Glut der Revolution

Historische Tiefenschärfe liefert de Bana nicht mit. Stattdessen wertet er Marie Antoinettes Gatten, den von Jakob Feyferlik fast überirdisch getanzten Ludwig XVI., zum idealisierten Jüngling auf und lässt die beiden Figuren ins Allegorische driften. Das klingt schauerlich, passt aber zur Kunst in der Blüte des Ancien Régime, dessen letzter König dieser Bourbone war. Die Allegorie des Schicksals (unabwendbar: Andrey Kaydanovskiy) tanzt wie ein Mephisto mit Maria Theresia, Marie Antoinette und deren Schatten-Double – erst ganz in Schwarz als männliche Parze, gegen Ende in höllisch rotem Mantel. In schicksalshaft roter Glut erstarrt denn auch als Schlussfigur das Königspaar im Proszenium. Die Wirkung dieser teuflisch beeindruckenden Apotheose ist dem effektbewussten Lichtdesigner James Angot zu verdanken.

Dieses letzte Rot könnte auch als die Glut der Revolution gelesen werden, die den ganzen Ancien-Régime-Kitsch wegbrannte. Und aus der ganzen Symbolik und Marie-Antoinette-Analyse von Patrick de Bana lässt sich als Erinnerung herausbrechen, dass die Zwangsehe ein probates Mittel europäischer, vor allem österreichischer Politik gewesen ist. Die Wendung "tu felix Austria nube" für die habsburgische Heiratspolitik hat eine unglückliche, menschenverachtende Grundlage. (Helmut Ploebst, 9.5.2016)