Bild nicht mehr verfügbar.

Betrunken Auto zu fahren mit einer Vergewaltigung zu vergleichen ist wie die Gleichsetzung von Äpfeln mit Birnen.

Foto: AP / Fabian Bimmer

Fahrraddiebstahl. Betrunken Auto fahren. Unfälle, Football, schlechtes Wetter, das Recht auf Abtreibung. Dies ist lediglich eine kleine Auswahl an Dingen, die mit Vergewaltigung verglichen werden.

Tatsächlich sind Vergewaltigungsvergleiche noch viel verbreiteter. Wenn wir Musik hören, die unseren Geschmack überhaupt nicht trifft, dann erklären wir uns zu Opfern einer akustischen Vergewaltigung, denen die Ohren bluten würden.

Wenn der US-amerikanische Präsidentschaftskandidat der Republikaner sein Missfallen darüber ausdrücken möchte, dass sein Heimatland gegenüber China wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten ist, dann nennt er es Vergewaltigung, obwohl er Diebstahl meint.

The Telegraph

Und wenn der deutsche Medienanwalt des türkischen Präsidenten klarstellen will, dass sich im Zuge der Schmähkritik Jan Böhmermanns immer mehr Personen eines ähnlichen Tonfalls bemächtigen, dann stellt er seinen Mandanten mal eben als Opfer einer Massenvergewaltigung dar.

Was passiert da eigentlich? Wieso fällt es uns scheinbar so leicht, das Schicksal von Opfern sexualisierter Gewalt mit immer noch unsinnigeren, noch banaleren Dingen und Sachverhalten aufzuwiegen?

Warum liegen uns diese Vergleiche so befremdlich nahe und gehen uns so einfach über die Lippen? Das liegt auf der einen Seite an der Natur eines Vergleichs und an dem Wunsch, etwas zu dramatisieren. Ein Vergleich zielt ja gerade darauf ab, Dinge in Bezug zueinander zu setzen, die nicht deckungsgleich sind, um so fest abgesteckte Bedeutungshorizonte um Fremdassoziationen zu erweitern.

Vergleiche sind nicht wörtlich zu nehmen. Wer ein Gesicht strahlend wie die Sonne findet, trägt deswegen noch lange keine Creme mit Lichtschutzfaktor auf. Und wer findet, dass es im Büro mal wieder zugeht wie auf einem Kriegsschauplatz, der legt sich trotzdem keine Splitterschutzweste an. Der hatte höchstwahrscheinlich auch nicht die Bilder vom syrischen Homs im Hinterkopf, die er dadurch relativiert. Tut er aber.

Bagatellisierung

Und damit sind wir auf der anderen Seite der Vergewaltigungsvergleiche. Auf der nämlich, wo der erwünschten Dramatisierung die Bagatellisierung von sexualisierter Gewalt gegenübersteht. Und wir müssen und fragen, ob diese Bagatellisierung nicht auch erwünscht ist. Ob Vergewaltigung wirklich in dem Maße geächtet und außerhalb gesellschaftlicher Konventionen gestellt wird, wie es angebracht ist.

Oder ob die massive Vergleichsbereitschaft nicht möglicherweise daher rührt, dass wir um den Wunsch nach Legitimierungsmöglichkeiten von sexualisierter Gewalt herumschleichen. Und uns mehr oder weniger heimlich fragen, ob und wann Vergewaltigung nicht doch irgendwie in Ordnung ist.

Wenn man verheiratet ist zum Beispiel (das ist keine 20 Jahre her). Wenn sie betrunken ist und er es nicht so gemeint hat. Wenn sie sich vor dem Hintergrund dessen, dass die Bedeutung des Wortes NEIN bei Frauen ständig in Zweifel gezogen wird, nicht "ausreichend" zur Wehr setzt. Übrigens auch wenn er es nicht anders verdient hat.

Vergewaltigung im Gefängnis

In den USA macht gerade eine Kampagne darauf aufmerksam, dass Vergewaltigungswitze und -vergleiche in Bezug auf kriminelle Gefangene gesellschaftliche Anerkennung finden. So als wäre die Tatsache, dass man ein Verbrechen begangen hat, gleichbedeutend damit, seine sexuelle Integrität und Menschenwürde abgegeben zu haben. Vergewaltigung sollte jedoch nicht Teil der Strafe sein.

Und weil in den letzten Wochen und Monaten immer wieder Denk- und Sprechverbote im Hinblick auf die Sexualstraftaten, die von Migranten und Geflüchteten begangen worden sind, beklagt werden: Nein, dieser Text will keine Vergleichsverbote oder ähnliche sprachpolizeilichen Maßnahmen verhängen. Er will lediglich dazu auffordern, sich unter anderem darüber Gedanken zu machen, warum es in der deutschen Sprache einen so widerlichen Euphemismus wie "Vergewohltätigung" gibt und in welchen Kontexten er benutzt wird. (Nils Pickert, 25.5.2016)