"Koma" wirkt radikaler als die ersten beiden Teile der Trilogie.

Foto: Bärbel Hohmann

Vollkommene Dunkelheit – nicht nur im Zuschauerraum, auch auf der Bühne und im Orchestergraben. Selbst die Notlichter beim Ausgang deckt das Einlasspersonal zu. Intensiviert wird in solcher Finsternis jedoch die Orientierung über das Gehör: Geräusche, Rufe, ein Flirren von Klängen, ein Brummen, dann eine hohe Stimme etwa ganz von oben, oder der Klang einer Celesta.

Koma, Georg Friedrich Haas' Oper, beschwört den Zustand einer Frau zwischen Leben und Tod. Michaela liegt im Wachkoma. Nach einem Unfall war sie aus einem eiskalten See geborgen worden. Wird sie – wie Eurydice – noch einmal ins Leben zurückgerufen? In vollkommener Finsternis orientieren müssen sich dabei auch die Musiker, der Pianist etwa an seinem vierteltönig gestimmten Klavier. Und am schwierigsten wohl, der Dirigent Jonathan Stockhammer, er muss im Dunkeln das SWR-Radioorchester koordinieren und Einsätze vermitteln.

Spannende Dramatik

Hin und wieder, vielleicht auch allzu schnell und zu oft, bricht die Finsternis jäh auf: Man hätte manchmal noch länger in der Dunkelheit meditiert. Dann sieht man im Neonlicht oder als Schattenriss in der Ferne das Krankenbett der Intensivstation und etwas näher: die Angehörigen, aber auch Ärzte und Pfleger. Realistisch genaue und doch auch surreale Bilder, in drei perspektivisch gestaffelten Goldrahmen, die die Architektur des barocken Schwetzinger Schlosstheaters weiterführen (Bühnenbild: Bärbel Hohmann).

Koma ist der letzte Teil einer für Schwetzingen konzipierten Trilogie von Georg Friedrich Haas & Händel Klaus. Nach der Inzest- und Mord-Oper Bluthaus und dem Sterbedrama Thomas wirkt Koma noch radikaler. Dabei ist Haas' Oper keineswegs metaphysisches Tiefgründeln, sondern durchaus spannende Dramatik, die zwei Stunden trägt.

Karsten Wiegand, Intendant des Theaters Darmstadt, mit dem die Schwetzinger Festspiele kooperierten, kann dabei als Regisseur nur für die Hälfte des sonst verdunkelten Abends in Erscheinung treten. Er überlagert das Arrangement mit Videoeinblendungen und zeigt die Besuche in der Intensivstation fast wie einen psychoanalytischen Thriller. War es Selbstmord, bestand ein Verhältnis zum Schwager, der sich auf einmal zur bösen Mutter verwandelt, die Michaela geschlagen hatte? Der Countertenor Daniel Gloger, Spezialist für Alte Musik, aber eben auch für die anspruchsvollen Partien Georg Friedrich Haas', weiß eindrucksvoll die Doppelrolle zu gestalten.

Mit Kindheitserinnerungen suchen die Angehörigen mit Michaela ins Gespräch zu kommen: über eine tote Katze, den Verkauf des Elternhauses, über ihr Versagen als Lehrerin. Pfleger und Ärzte werfen als Sprechrollen oft kurze banale Bemerkungen ein und verstärken gerade dadurch die existenzielle Situation.

Von Michaela hört man kein Wort mehr, nur ihre Stimme von verschiedenen Seiten, manchmal von oben, vom zweiten Rang des Schlosstheaters. Auch Ruth Weber ist inzwischen eine eindrucksvolle Georg-Haas-Spezialistin geworden. Im Finale dann ein Verhallen: Die Angehörigen rufen immer wieder Michaelas Namen. Um sie zu wecken?

Eine konzentrierte ausdauernde Vorbereitung auf ihre komplexe Musik ist sicherlich nötig, wenn man Koma ins Repertoire nehmen will, dann aber kann diese Oper eine einzigartige, aufwühlende Musiktheatererfahrung bieten. Nicht nur die Georg-Friedrich-Haas-Sänger, auch das SWR-Radioorchester konnte sich jedenfalls in seiner Klangwelt souverän zurechtfinden, und auch der Komponist schien diesmal sehr zufrieden. (Bernhard Doppler aus Schwetzingen, 30.5.2016)