Alle Augen auf Christian Kern. Auch zu Auslandsterminen wie der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels in der Schweiz nimmt der Bundeskanzler eigene Fotografen mit.

Foto: BKA/Andy Wenzel

Der Bundeskanzler erklärt dem Vizekanzler die Welt. Er muss sich nicht einmal anstrengen dafür; lässig an die Wand gelehnt, eine Wasserflasche in der einen Hand, die andere stützt seine Worte. Reinhold Mitterlehner sitzt da und lauscht wie ein gelehriger Schüler. Die Szene ist eingerahmt von Silhouetten im Vordergrund, in getönter Schwarz-Weiß-Optik gehalten. Ein Foto wie ein Gemälde. Fast 500 Menschen haben dafür auf der Foto-Plattform Instagram auf den "Gefällt mir"-Knopf gedrückt.

Christian Kern ist ein machtbewusster Mensch. Über Jahre brachte er sich als rote Hoffnung in Stellung. Er wusste, dass seine Zeit gekommen war, als Werner Faymann Republik und Partei mit seinem Rücktritt überraschte. Und Christian Kern weiß um die Macht der Bilder. Sie zu kontrollieren, dient ihm als Werkzeug bei seinem politischen Handwerk.

Ministerrat, neu inszeniert

Kein einziges Mal sah man ihn an jenem Pult im Bundeskanzleramt, an das Werner Faymann jahrelang gemeinsam mit dem jeweiligen schwarzen Vizekanzler nach dem Ministerrat zum Pressefoyer vor die Journalisten trat. Neuanfang. Neuer Stil, neuer Deal. Über die Jahre war das Bild des roten Kanzlers mit seinem im Dreijahresrhythmus wechselnden schwarzen Vize zum Symbol für die träge dahineiernde rot-schwarze Koalition geworden.

Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Bundeskanzlers war deshalb die Neuinszenierung des Pressefoyers: Die Regierungsspitze steht nun im Steinernen Saal am Ballhausplatz, ohne Pult, mit Ansteckmikro. "Wenn Sie wüssten, wie wenig Zeit wir uns für diese Entscheidung genommen haben", sagt Kern bei der ersten Aufführung seiner Regierarbeit in übertriebener Bescheidenheit.

Foto: standard/cremer

Die Kamera in der Hand behalten

Macht braucht Kontrolle, würde Kern vielleicht auch sagen. Denn starke Fotos können dem Abgebildeten auch zum Nachteil gereichen, und deshalb passt Kern ganz genau auf, welche Fotos von ihm an die Öffentlichkeit gelangen.

Den Antrittsbesuch beim Bundespräsidenten lichtete nur der Hausfotograf der Hofburg ab – unabhängige Pressefotografen waren zum Termin nicht eingeladen. Auch beim ersten Interview mit dem STANDARD als neuer Bundeskanzler wollte Kerns Team fotografisch das Ruder in der Hand behalten. Erst nach Aussprache mit der Redaktion durfte ein STANDARD -Fotograf das Gespräch dokumentieren.

Ob Pressefotografen zu Terminen eingeladen werden, hänge grundsätzlich davon ab, ob ein Termin medienöffentlich sei oder nicht, sagt ein Sprecher Kerns. Oft sei es schon aus räumlichen Gründen gar nicht möglich, externe Fotografen zu Terminen mitzunehmen. Die Fotografen des Bundespressedienstes seien aber ohnehin vor allem ein Service für Medien. Und nicht der Versuch, die Hoheit über Bilder vom Kanzler zu behalten. Das sei auch gar nicht möglich, weil es ja genug Gelegenheit für Fotos von Kern gebe.

Hausfotografen und Fotojournalisten

Es sei kein neues Phänomen, dass Politiker persönliche Fotografen haben, sagt Politikwissenschafterin Petra Bernhardt. Sie hat auf ihrer Website einen Text zu Kerns "Visibility Management" veröffentlicht. "Es ist wichtig, den Unterschied zu unabhängigem Fotojournalismus zu betonen", sagt sie.

Pressefotografen hätten eine ganz andere Perspektive als ein Fotograf, der für einen Politiker tätig ist. Bei den Hausfotografen politischer Akteure stehe die Agenda des Politikers im Vordergrund. "Dem Publikum ist aber nicht automatisch klar, dass es sich dabei nicht um Fotojournalismus handelt." Bernhardt sieht auch den Journalismus in der Pflicht, sogenannte "Handout-Fotos" deutlich als solche zu kennzeichnen.

Die kleinen Fußstapfen des Werner F.

Die sozialen Medien spielen kontrollbewussten Politikern wie Kern in die Hände. Was früher durch den unliebsamen Filter des Journalismus geschickt werden musste, kann heute direkt mit der Öffentlichkeit geteilt werden. Wenn man weiß, was auf Facebook gut ankommt, kann man dort Sympathien gewinnen und Botschaften vermitteln. Wenn, ja, wenn man das weiß.

Im Vergleich zu seinem Vorgänger profitiert Kern nicht nur inhaltlich und rhetorisch, sondern auch in der Social-Media-Arbeit von den kleinen Fußstapfen seines Vorgängers. 2011 verkündete die Sprecherin Faymanns, dass sich von nun an ein neunköpfiges Team (auch) um den Facebook-Auftritt des Kanzlers kümmern werde. Häme folgte.

Die Unprofessionalität von Faymanns Team gipfelte im Foto eines Putzwagerls aus dem Bundeskanzleramt, ohne weiteren Zusammenhang ergänzt durch einen halbphilosophischen Text über die Fotografie – der noch dazu ohne Kennzeichnung aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung kopiert war. Es war eine Blamage zu viel, der Bundeskanzler ließ seine Facebook-Seite sanft entschlafen. Heute ist sie nicht mehr aufzufinden.

"Paradoxe Intervention" nach Faymann

Der neue Kanzler dagegen präsentiert sich seit dem Tag seiner Angelobung im sozialen Netzwerk, das von drei bis vier Millionen Österreichern genutzt wird. "Was man Kern definitiv attestieren kann, ist ein offenkundiges Bildbewusstsein bei der Bespielung seiner Social-Media-Accounts", sagt Politikwissenschafterin Bernhardt.

Egal, ob Kern selbst dahinterstecke oder sein Team für die starke Bildsprache verantwortlich zeichnet: Für Bernhardt ist das "Ausdruck professioneller Kommunikation". Es sei "fast eine paradoxe Intervention in Bezug auf seinen Vorgänger", dass Kern Mittel aus der Unternehmenskommunikation ins politische Geschäft integriert.

Junge Fotografen toben sich aus

Die Bilder auf Facebook und Instagram kommen gut an. Fotos von der Angelobung, Fotos von der ersten Pressekonferenz, Fotos von Kanzler Kern bei der Stimmabgabe zur Bundespräsidentenwahl. Sie alle stammen von den Fotografen des Bundespressedienstes. Zwei Männer und eine Frau sind es, alle drei sehr jung. Nach einigen Anfragen in den Kommentaren zu ihren Bildern präsentierten sie sich auf der Plattform auch selbst mit einem Foto. Seit Christian Kern ihr Chef ist, dürfen sie sich entfalten.

Im Bundeskanzleramt wirkt man bemüht, das Kalkül hinter der neuen Politik der Bilder herunterzuspielen, man mache halt Fotos und manche davon seien schön. Die Plattform Instagram zu bespielen sei ein Wunsch der Fotografen gewesen, um auch ungewöhnliche Fotos zu präsentieren. Mit dem STANDARD dürfen sie nicht sprechen.

Dass die sorgfältig ausgewählten Fotos ganz beiläufig passieren, höre man auch aus dem Photo Office des Weißen Hauses in Washington, sagt Bernhardt. Dass Kern nicht jedes Foto selbst aussucht und absegnet, hält sie durchaus für glaubwürdig. Dass dahinter keine von oben vorgegebene Strategie steht, weniger.

"Die absolute Genauigkeit ist nicht das Wesentliche"

"Die Wähler erwarten eine gerade Linie – ein klares Bild, ein wahres Bild", sagt Alec Taylor. Der irische Kommunikationstrainer hat Viktor Klima, Thomas Klestil und eine Reihe von Ministern aus den Reihen beider damaligen Großparteien beraten. Manipulieren solle es zwar nicht, das politische Bild, und "natürlich kann man über vereinfachende Kommunikation streiten", sagt Taylor, "aber man versucht einen Punkt zu machen. Die absolute Genauigkeit ist nicht das Wesentliche."

Das Bild, das Politiker von sich selbst zeichnen, müsse aber auch mit dem Menschen dahinter übereinstimmen. Denn so wichtig Bilder in der politischen Kommunikation sind: "Keine tolle Rede, keine dynamische Pressekonferenz", sagt Taylor, "kann Taten und Resultate ersetzen. Was zählt, sind Ergebnisse."

Schöne Bilder reichen nicht

Daran wird auch Christian Kern gemessen werden. Professionelle Kommunikation kann nicht mehr als ein Baustein der politischen Arbeit sein, die zwar zu einem guten Teil aus Kommunikation besteht. Aber einem intern blockierten Kanzler wird wegen eines Instagram-Fotos kein Leadership zugesprochen.

Christian Kerns Inszenierung ist gelungen. Seine Politik muss dem geschaffenen Image erst gerecht werden. Und das ist deutlich schwieriger, als schöne Fotos schießen zu lassen. (Sebastian Fellner, 11.6.2016)