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Was würden Sie tun, wenn Sie sich um Ihr Einkommen nicht kümmern müssten? Die Schweizer Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen machte sich keine Sorgen. Trotzdem stimmten die Schweizer in einer Volksabstimmung mit Nein.

Foto: REUTERS/Denis Balibouse

Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen der Weg in die postkapitalistische Utopie? Würde es uns ermöglichen, uns jenseits der Zwänge der Lohnarbeit zu entfalten und ein gutes Leben zu führen? Ist es eine notwendige Antwort auf das Verschwinden der Arbeit im Zeitalter der Robotisierung? Oder ist es eine neoliberale Hinterlist zur Zerschlagung des Sozialstaats? Und außerdem unfinanzierbar, eine unnötige und ungerechte Auszahlung von Transfers auch an Reiche? Diese Fragen werden kontrovers diskutiert, quer durch das politische Spektrum von links bis neoliberal.

Viele dieser Erwartungen, positiv wie negativ, sind überzogen. Dennoch wäre ein Grundeinkommen ein wichtiges Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt. Bei einem Grundeinkommen kommt es aber sehr auf das "Kleingedruckte" an; deshalb ein paar Klarstellungen.

Weniger revolutionär als oft argumentiert

In vielerlei Hinsicht ist ein Grundeinkommen weniger revolutionär als von Gegnern und Befürwortern argumentiert. Länder wie Österreich mit einem (noch?) relativ gut ausgebauten Sozialstaat haben zahlreiche Transfers, die nahe an ein Grundeinkommen kommen. Familienbeihilfe und Ausgleichszulage (Mindestpension) etwa sind tatsächlich "bedingungslos" in dem Sinn, dass sie an keinerlei "Arbeitswilligkeitsprüfung" geknüpft sind. Darüber hinaus gibt es zahlreiche nichtbedingungslose Transfers wie Arbeitslosenversicherung, Notstandshilfe und Mindestsicherung.

Wem das Grundeinkommen helfen würde

Wozu dann ein Grundeinkommen, wenn es diese Transfers schon gibt? Zum Ersten wäre es ein Auffangnetz für all jene, die nicht in die traditionellen Erwartungen des Sozialstaats passen, sondern in unsicheren, prekarisierten und atypischen Beschäftigungsverhältnissen sind. Das trifft auf immer mehr Menschen zu, der Trend beschleunigt sich seit Beginn der Finanzkrise.

Zum Zweiten würde es die erniedrigenden Kontrollen der Sozialbürokratie abschaffen, die mit Arbeitslosenversicherung und Mindestsicherung einhergehen: Bedarfsprüfungen, die das Aufbrauchen aller Ersparnisse erfordern, das Einklagen von Zahlungen durch Familienmitglieder, Scheinbewerbungen zum Beweis der Arbeitswilligkeit, sinnlose "Weiterbildungsmaßnahmen", der regelmäßige Gang zum Amt und so weiter. Der psychologische Effekt einer Abschaffung solcher Angriffe auf die individuelle Menschenwürde durch die Einführung eines Rechtsanspruchs auf ein Grundeinkommen wäre enorm.

Zum Dritten würde ein Grundeinkommen klare Mindeststandards für Beschäftigungsverhältnisse schaffen: Arbeitsbedingungen, die allzu ausbeuterisch und schlecht bezahlt sind, wären nicht mehr durchsetzbar, wenn alle die Alternativoption Grundeinkommen haben.

Auf die Details kommt es an

Bei alldem kommt es natürlich auf die Details an. Die Unklarheit, wie diese Details zu gestalten sind, ist mitverantwortlich dafür, dass die Idee eines Grundeinkommens von links bis neoliberal zahlreiche Befürworter und Gegner hat. Offene Fragen sind etwa: Wie großzügig wäre ein Grundeinkommen? Wer ist anspruchsberechtigt – nur Staatsbürger oder auch Migranten? Und ab wann besteht ein Anspruch?

Ein sinnvolles Grundeinkommensmodell darf jedenfalls nicht bedeuten, dass andere Transferleistungen zur Absicherung bei Arbeitslosigkeit, Behinderung, im Alter und so weiter abgeschafft werden – ähnlich zum bestehenden System der Mindestpension, die nicht alle anderen Pensionsversicherungen ersetzt. Weiters sollte es so gestaltet werden, dass niedrige Arbeitseinkommen nicht den Wegfall des Grundeinkommens bedeuten, sondern das Einkommen erhöhen. Entsprechend progressive Steuern bedeuten dann aber, dass bei höheren Einkommen trotzdem nicht mehr transferiert wird als jetzt. Und Vermögens- und Erbschaftssteuern zur Gegenfinanzierung wären höchst sinnvoll. Ein Grundeinkommensmodell, das diese Kriterien erfüllt, wäre in der Lage, Armut und Unsicherheit zu reduzieren und zu einer gerechteren Einkommensverteilung zu führen.

Die Finanzierbarkeit kein Problem

Eine oft geäußerte Sorge ist, dass niemand mehr arbeiten würde, wenn es ein Grundeinkommen gäbe. Diese Sorge ist nach allem, was wir von anderen Sozialprogrammen gelernt haben, reichlich unbegründet. Arbeitslosigkeit liegt nicht an Arbeitswilligkeit, sondern an der Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen – deswegen schwankt sie auch so über den Konjunkturzyklus. Wenn ein Grundeinkommen so gestaltet ist, dass es mit steigendem Einkommen progressiv wegbesteuert wird, wird es an der Zahl der Lohnarbeitenden nicht viel ändern. Das heißt natürlich auch, dass es nicht zur Utopie eines Lebens jenseits der Lohnarbeit führen wird.

Dementsprechend ist auch die Finanzierbarkeit kein Problem, wenn der politische Wille besteht. Ein sinnvoll gestaltetes Grundeinkommen würde zu etwas mehr Umverteilung führen, aber nicht den Staatshaushalt sprengen.

Ungleichheit steigt durch technischen Wandel

"Durch den technischen Wandel geht die Arbeit aus, Massen an Menschen werden überflüssig für das System": Argumente dieser Art werden oft angeführt, um die Notwendigkeit eines Grundeinkommens zu begründen, als Absicherung für die überflüssig Gewordenen. Diese Idee ist mindestens 240 Jahre alt; sie hat sich bis jetzt aber nicht bewahrheitet. Was jedoch stimmt, ist, dass durch technischen Wandel – und auch durch internationalen Handel – bestimmte Berufsfelder verschwinden. Das betraf in den vergangenen Jahren insbesondere Berufe in der Mitte der Einkommensverteilung, wo Facharbeiter durch Roboter ersetzt werden und Büroarbeiter durch Digitalisierung von Arbeitsabläufen.

Das Verschwinden von Berufen in der Mitte trägt zum Anstieg der Einkommensungleichheit bei. Ein progressiveres Steuersystem mit einem Grundeinkommen am unteren Ende könnte dazu beitragen, diesem Anstieg der Ungleichheit entgegenzuwirken. Eine nachhaltige Antwort auf den technischen Wandel und steigende Ungleichheit erfordert aber insbesondere auch eines: bildungspolitische Maßnahmen. (Maximilian Kasy, 15.6.2016)