Bei der Mathematik-Matura waren die Buben erneut deutlich besser als die Mädchen. Neben rein statistischen Effekten könnten Unterricht und mathematisches Selbstkonzept eine Rolle spielen.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Wien – Warum waren die Mathematikleistungen der Buben heuer bei der Zentralmatura wieder deutlich besser als jene der Mädchen? Der mathematische Gender-Gap ist diesmal sogar noch größer als im vergangenen Jahr.

2015 – damals absolvierten nur die AHS die neue Zentralmatura – hatten im Österreich-Schnitt 12,6 Prozent der Mädchen und 7,6 Prozent der Buben in Mathematik bei der schriftlichen Klausur eine negative Note. Bei der mündlichen Kompensationsprüfung zur Tilgung dieses Fünfers scheiterten letztlich 4,8 Prozent der Mädchen und 3,2 Prozent der Buben.

Heuer lieferte jede vierte AHS-Schülerin (25,4 Prozent) schriftlich eine negative Leistung ab (nach der mündlichen Kompensationsprüfung waren es noch 7,8 Prozent). Bei den Buben fiel in den Gymnasien etwa jeder sechste (16,7 Prozent) schriftlich durch, "kompensiert" bereinigt, blieben 5,6 Prozent mit einem Fünfer.

In den berufsbildenden höheren Schulen (BHS), die heuer erstmals zentral maturierten, fielen schriftlich 16,1 Prozent der Mädchen (nach Kompensationsprüfung 6,5 Prozent) und 8,7 Prozent der Buben (4,1 Prozent) durch.

Woran liegt's? Nicht an der Biologie, betonen Expertinnen und Experten. Buben sind nicht "naturgemäß" besser in Mathematik. Für Edith Schneider etwa, die Leiterin des Österreichischen Kompetenzzentrums für Mathematikdidaktik an der Uni Klagenfurt, ist klar: "Das Leistungsvermögen von Mädchen und Buben in Mathematik ist grundsätzlich gleich."

Warum dann die großen Unterschiede bei der Matura? Die Antwortsuche ist komplex.

Ein nicht unwesentlicher Teil des Mathe-Gender-Gaps ist wohl ein statistischer Effekt, auf den der Wiener Statistiker Erich Neuwirth bereits 2015 hingewiesen hat. Etwa 60 Prozent der Maturanten sind Mädchen, 40 Prozent Buben. Wenn man annimmt, dass Mädchen und Buben prinzipiell eine gleiche Mathematik-Intelligenz-Verteilung haben und man davon ausgehen kann, dass die schulisch "Besseren" von ihnen höhere Schulen besuchen, dann sind die 40 Prozent Buben in den Maturaklassen nur mit den 40 Prozent der besseren Mädchen vergleichbar.

"Die restlichen Mädchen, also 20 Prozent aller Maturantinnen und Maturanten, sind einer leistungsschwächeren Gruppe zuzurechnen", erklärt der Klagenfurter Mathematikdidaktiker Werner Peschek im STANDARD-Gespräch – und sie drücken den Durchschnittswert der Mädchenleistungen bei der Matura. Pescheks Schlussfolgerung: "Die großen Unterschiede sind vermutlich weniger den Aufgaben geschuldet, sondern dürften auf ganz anderem Weg zustande kommen."

Ein paar knifflige Beispiele

Auf welchem Weg also? Spurensuche mit Mathematikdidaktikerin Schneider, die sich die Gendereffekte des Vorjahres genauer angesehen hat. Neben der statistischen Erklärung für die schlechteren Mädchenleistungen geht sie davon aus, dass es weitere genderrelevante Effekte gibt, die einer genaueren wissenschaftlichen Analyse, insbesondere auch anhand von Fallstudien, bedürfen.

Zum Beispiel konnte bei der vorjährigen Zentralmatura festgestellt werden, dass sich bei den meisten Aufgaben eher geringe, bei "einigen wenigen Aufgaben" aber "besonders deutliche Leistungsunterschiede bis zu zehn Prozentpunkten" ergaben – meist zugunsten der Buben, gelegentlich aber auch zugunsten der Mädchen, berichtet die Expertin.

Das lässt sich durch die genannten statistischen Effekte kaum erklären und verwundert auch deshalb, weil alle Maturaaufgaben großangelegte Feldtestungen durchlaufen haben, in denen derartige Aufgaben identifiziert und dann eliminiert werden sollten.

Häufig wird als mögliche Ursache gesehen, "dass die Aufgabenstellungen vielleicht für Mädchen ungünstig formuliert sind", sagt Edith Schneider, fügt aber ein großes Aber hinzu: "In vielen Klassen gab es überhaupt keine Gender-Unterschiede." Das spricht dann weniger für die Aufgabenstellungen als Ursache, "das spricht eher dafür, dass es am Unterricht liegt".

Es könnte etwa sein, dass die Differenzierung in einzelnen Schultypen, Schulen oder Klassen so gestaltet ist, dass bestimmte Aufgabentypen von Mädchen seltener behandelt werden. "Wenn unvertraute Aufgaben kommen, tun sich Mädchen oft schwerer, was auch an einem geringeren Selbstkonzept liegt." Das heißt im Klartext: Mädchen lernen unbewusst, dass Mädchen Mathematik sowieso nicht so gut können wie Buben, und trauen sich dann auch weniger zu.

Verstehen, nicht nur nachrechnen

Was tun? "Der Unterricht muss so gestaltet werden, dass weder Mädchen noch Buben benachteiligt werden, und allfällige Unterschiede müssen durch besondere Förderung ausgeglichen werden", sagt Schneider – und betont allgemein die Qualität des Unterrichts, die über die Genderfrage hinaus entscheidend sei. Bei der Zentralmatura komme es "halt wirklich auf Verstehen und nicht das Reproduzieren von Beispielen an. Es reicht sicher nicht, Übungsbeispiele nur durchzurechnen, man muss verstehen, was die Übung überhaupt verlangt und was sie bedeutet". (Lisa Nimmervoll, 5.7.2016)