Julia Stemberger und Philipp Stix in "Doderers Dämonen".

Foto: Festspiele Reichenau / Dimo Dimov

Reichenau an der Rax – Heimito von Doderers 1345 Seiten zählender Roman Die Dämonen (1956) ist ein ausuferndes Gesellschaftspanorama der Zwischenkriegszeit, ein den Schmerz des noch Kommenden bereits in sich tragender Großstadtroman, der in wenigen Monaten ab Oktober 1926 spielt und auf den Justizpalastbrand am 15. Juli 1927 zuläuft. Er zeichnet – vorwiegend – die bessere Gesellschaft Wiens nach, ein Geflecht an Personen, Freunde oder Verwandte, Nachbarn oder Geschäftspartner, die die bevorstehenden Zeiten vielleicht schon wittern. Sie tragen charaktervolle Namen – Meisgeier, Zwicklitzer oder Rucktäschl – und ebenso denkwürdige, das Private feiernde Spitznamen: Mucki, Titi, Oki, Quapp usw.

Daraus eine Bühnenfassung zu machen, die zwei Stunden Aufführung kaum überschreitet, ist schier unmöglich. Nicolaus Hagg hat das Beste daraus gemacht. Für die Festspiele Reichenau, die sich mit der Strudlhofstiege 2009 bereits an den Doderer-Koloss herangearbeitet hatten, wählte er 16 zentrale Figuren, auf die in der Chronik von Sektionsrat Geyrenhoff (Joseph Lorenz) zurückgeblickt wird. In Hermann Beils ereignisloser Inszenierung fungiert dieser auch als Erzähler.

Besteht der Roman aus akribischen Milieustudien, die über die Zubereitung eines türkischen Kaffees genauso Auskunft geben wie über Stimmungen bei einem Skiausflug auf den Kahlenberg, so muss die Bühnenfassung (104 Seiten) mit einem Minimum an Charakteren und Handlungsfäden auskommen. Vor lauter eiligen Auf- und Abtritten wird die Bühne im Neuen Spielraum, auf die Peter Loidolt kunstgewerblerisch die sieben "Dämonen"-Buchstaben hingeworfen hat, zur Straßenkreuzung für Schauspieler.

Zerfall der "Unsrigen"

Trotz der Flüchtigkeit der Auftritte gelingt es den Darstellern immer wieder, für ihre Anliegen einzustehen: Johanna Arrouas als emanzipierte Violinistin Charlotte Schlaggenberg, Julia Stemberger als Standesgrenzen überwindende Mary K., Peter Matic als abgeklärter Papa Siebenschein, André Pohl und Thomas Kamper als windige Geschäftemacher, Philipp Stix als ein im Brecht'schen Sinne "lesender Arbeiter". Seine kleine, beim Tischtennistee (ja, so etwas gab es einmal) gehaltene Rede über die Notwendigkeit verschiedener Welten könnte man heute als Schlüsselstelle lesen. Und um den Zerfall der "Unsrigen", wie sich Doderers Personenkern der meist aristokratisch geprägten Wiener Vorstadtkolonie nennt, geht es hier schließlich.

Als Regiestammgast in Reichenau versucht Hermann Beil vor allem eines: mit akkuraten Szenenfolgen und Tempowechseln der Gleichförmigkeit des Kommens und Gehens entgegenzuwirken. Doch haben es die Kürzestszenen denkbar schwer, sich gegen die lähmende Motorik zu behaupten. Als Leseanregung, wie die Festspiele selbst ihr Großunterfangen verstehen, dient die Inszenierung allemal. (Margarete Affenzeller, 5.7.2016)